Frucade und Eierlikör
Vor zwanzig Jahren, am 12. November 1994, ging im Speisesaal des Globus-Verlags die erste Folge von „Phettbergs Netter Leit Show“ über die Bühne. Erinnerungen an eine Zeit, in der das Fernsehen noch nicht ganz so reaktionär war wie heute.
Es war am 4. Oktober 1994 um 17 Uhr 04, als ich Hermes Phettberg per Telefax das Konzept für ein neues Theaterformat übermittelte. Telefax? Ja, so etwas gab es damals noch, und der legendäre Ingenieur Hugo Kirnbauer erklärte in einer „Netten Leit Show“ sogar einmal, wie diese „revolutionäre Erfindung“ funktionierte: „Jeder Buchstabe ist ein Byte. Und jedes Byte besteht aus acht Bits.“ Verstanden habe ich es nicht, aber ich habe auch nicht verstanden, woran der Lebensmittelkontrolleur Professor Psota erkennen konnte, ob in einem Chinarestaurant die knusprige Ente verdorben war oder nicht. Ich glaube, es hatte irgendetwas mit Geschmacksverstärkern und ominösen „weißen Flankerln“ zu tun.
Bevor ich aber abschweife, kommen wir wieder zurück zum 4. Oktober 1994. Unserer Theatergruppe „Sparverein Die Unzertrennlichen“ war gerade ein Stück ausgefallen und wir mussten schnellstmöglich eine Ersatzproduktion auf die Füße stellen. Da ich aufgrund unserer langjährigen Zusammenarbeit Phettbergs schauspielerisches Talent kannte, schlug ich ihm vor, an sechs Samstagen eine Live-Talkshow als Bühnenstück zu machen.
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Ich erwähne die langjährige Zusammenarbeit mit Hermes auch deshalb, weil nach dem Erfolg der „Netten Leit Show“ immer wieder so getan wurde, als hätte ich die Kunstfigur Hermes Phettberg erfunden. Das ist Unsinn, weil Hermes bereits von 1991 bis 1994 unter meiner Regie bei fünf Produktionen des „Sparvereins“ als Schauspieler mitgewirkt hat. Dabei brillierte er in Stücken von Flann O‘Brien oder Gustave Flaubert ebenso wie im Western „Bringt mir die Hörner von Wilmingtons Kuh“ oder im Krimi „Bei Anruf – Mord“.
Dass „Phettbergs Nette Leit Show“ so erfolgreich war, hing sicherlich auch damit zusammen, dass sie von Anfang an als Theaterstück konzipiert war. Natürlich konnte Phettberg improvisieren, allerdings nur innerhalb eines festgelegten dramaturgischen Rahmens. Ohne einen solchen Rahmen hätte diese Produktion nicht funktioniert, wenngleich auch der Zufall – wie immer im Leben – eine große Rolle spielte. Dazu zwei Beispiele:
Während einer Zugfahrt mit Hermes fiel mir auf, dass er ständig eine braune, extrem hässliche Aktenmappe aus Kunstleder unter den Arm geklemmt hatte. Ich sprach ihn darauf an und wir beschlossen, die Mappe in der Show als Requisit zu verwenden. Und zwar als Aufbewahrungsort für den Flaschenöffner, mit dem er die Frucadeflaschen öffnete. Die Krux an der Sache war allerdings, dass sich dieser Öffner in einem zugeklebten Kuvert befand, der während der Show umständlich aus der Tasche herausgeholt werden musste, um dann ebenso umständlich darin wieder verstaut zu werden. Tja, so etwas passiert, wenn man nur einen Flaschenöffner besitzt, den man keinesfalls verlieren darf, weil man ja sonst die Frucadeflaschen nicht öffnen hätte können. Wer jetzt meint, wir hätten ja einen zweiten Flaschenöffner kaufen können, versteht das Wesen des neurotischen Rituals nicht.
Oder nehmen wir die zehn Dosen, auf die am Ende der Show mit einem ausgestopften Socken geschossen wurde. Dafür wurden ausschließlich leere Dosen aus dem reichen Bestand von Hermes Phettberg verwendet, die farblich aufeinander abgestimmt waren. Der – gewaschene – Socken stammte von mir, wobei es einmal beinahe zu einer Katastrophe gekommen wäre: Als Hermann Nitsch am 1. Juli 1995 beim Dosenschießen nämlich den Ball sehr weit danebenwarf, und dieser (der Ball, nicht Hermann Nitsch) durch das offene Fenster im zweiten Stock des Veranstaltungssaales ins Freie hinaus auf die Meldemannstraße fiel, mussten sofort mehrere Personen ausströmen, um den Ball zu suchen. Glücklicherweise wurde er auf einem Kanalgitter liegend gefunden, und die Show konnte ungehindert fortgesetzt werden. Wäre der ausgestopfte Socken in der Wiener Kanalisation verschwunden, hätte das für das Fernsehen ungeahnte Folgen haben können.
Daran sieht man, dass „Phettbergs Nette Leit Show“ das Produkt eines pedantischen Chaoten (Phettberg) und eines chaotischen Pedanten (Palm) war, wobei die entscheidende Kategorie die Pedanterie war, weil sich das Chaos ohnehin von selbst einstellte.
Wie es sich für ein ordentliches Theaterstück gehörte, gab es natürlich auch ein Bühnenbild, es gab für Phettberg, den Assistenten Robin und die „Brüder Poulard“ Kostüme, und es gab eine Bühnenmusik, die live von Chrono Popp beigesteuert wurde. Dazu kamen als weitere Fixpunkte das „Video der Woche“ (z. B. „Zu Besuch bei Elfriede Jelinek“ oder „Zu Besuch beim österreichischen Stenografenverband“), die berühmt gewordene Eingangsfrage „Frucade oder Eierlikör?“, das Dosenschießen und nicht zuletzt das Polaroidfoto, das Robin von jedem Gast mit Phettberg machte. Selfies? Fehlanzeige.
Als mich bei unserer ersten Besprechung im „Café Jelinek“ Hermes fragte, wie die Produktion heißen solle, schob ich ihm einen Zettel über den Tisch: „Phettbergs Late Night Show“ stand da drauf. Er übersetzte diesen auf dem Kopf stehenden Titel mit: „Phettbergs Nette Leit Show“. Ping – Pong. So funktionierte das zwischen uns und wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb Hermes später einmal meinte, wir beide wären wie Dick und Doof oder wie Karl Farkas und Ernst Waldbrunn oder wie Kochtopf und Deckel. Das war auf der einen Seite ganz lustig, auf der anderen Seite aber auch ziemlich anstrengend. Vor allem, wenn der Kochtopf ständig am Überkochen war.
Als Aufführungsort für unser Stück wählten wir den von Margarete Schütte-Lihotzky erbauten Globus-Verlag der KPÖ, weshalb wir als ersten Gast auch gleich Franz Muhri, den ehemaligen Vorsitzenden der KPÖ, einluden. Bei einer der ersten Shows schaute einmal auch die damals 97-jährige Architektin und Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky vorbei, die vom Publikum entsprechend gefeiert wurde.
Mit 200 Besucherinnen und Besuchern war die erste „Nette Leit Show“ ziemlich gut besucht, vor allem wenn man bedenkt, dass die Veranstaltung erst um 22 Uhr begann und der Globus-Verlag am Höchstädtplatz im 20. Bezirk gar nicht so leicht zu erreichen war. Eine Woche später kamen bereits 400 Leute, in der Woche darauf waren es 600, und bei der letzten Show der ersten Staffel am 17. Dezember 1994 stürmten 1.100 Leute den ehemaligen Speisesaal der KPÖ-Zentrale. Und das ganz ohne Facebook! Gäste waren damals Franz Morak, Valie Export und Josef Hader. Und wie immer gab es Wurstsemmeln (mit Gurkerln), Flaschenbier und T-Shirts mit Phettbergs Konterfei.
Als der ORF dann trotz zweimaliger Ablehnungen doch noch Interesse an „Phettbergs Netter Leit Show“ zeigte, entschlossen wir uns, zwischen Juni 1995 und April 1996 drei weitere Staffeln zu produzieren. Ausgestrahlt wurden die auf 50 Minuten gekürzten Shows, die live knapp zwei Stunden dauerten, dienstags um 23 Uhr im Rahmen der „Kunststücke“ auf ORF 2 und bescherten dem Sender mit einem durchschnittlichen Marktanteil von 33 % sensationelle Quoten. Im ORF und auf 3sat haben „Phettbergs Nette Leit Show“ insgesamt sechs Millionen Menschen gesehen.
Aber nicht nur die Zuschauerzahlen waren enorm, auch das Medienecho war gigantisch. In der japanischen Tageszeitung „Mainichi Shimbun“ erschien eine dreiteilige Serie über Phettberg, und die spanische Zeitung „El Pais“ berichtete ebenso über „das Phänomen Phettberg“ wie „Der Spiegel“, „Die Zeit“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, der „Stern“ oder die „Neue Zürcher Zeitung“.
Als Folge des Medienhypes wurden auch drei Bücher über den neuen Fernsehstar aus Gumpendorf herausgebracht. In seinem Buch „Hermes Phettberg. Die Krücke als Zepter“, schrieb der Journalist Klaus Kamolz: „Phettberg ist wie ein Messias über die trostlose österreichische Medienlandschaft gekommen. Da führte einer das Fernsehen vor und entblößte seine Peinlichkeit, indem er es bis zur Kenntlichkeit entstellte: Das Medium war nackt bis auf die Haut, seine Professionalität als lächerliche Pose entlarvt. “
Die Gründe dafür, dass die „Nette Leit Show“ binnen kürzester Zeit Kultstatus erlangte, waren vielfältig:
Auf der einen Seite wurde die Show sicherlich als Antithese zur Programmpolitik des ORF, deren Ziel ja die Verblödung des Publikums war, verstanden. Das hatte auch die „Kronen Zeitung“ begriffen, in der nach der Ausstrahlung der ersten Show zu lesen war: „Mit dieser inakzeptablen Sendung taucht der ORF gefährlich in die Niederungen des Unappetitlich-Grindigen ein. Einen witzlosen Fettberg, der sich blöd stellt und kein Hehl aus seinen verschimmelten linken Vorlieben macht, braucht der ORF nicht.“
Meine Rache folgte auf dem Fuß, indem ich in der folgenden Show in meinem Brief, den Hermes immer am Ende vorlas, die „Kronen Zeitung“ als „erzreaktionäres Revolverblatt“ bezeichnete. Einige ORF-Redakteure wollten, dass ich diese Passage herausschneide, was ich natürlich nicht tat. Daraufhin verlangte Hans Dichand in einem „Krone“-Leitartikel, dass mich der ORF gefälligst rauswerfen solle. Unser Plan, eine wilde, anarchische, linke Show zu machen, die nichts mit dem ganzen Dreck zu tun hatte, der unter der Bezeichnung „Talkshow“ im Fernsehen lief, war also aufgegangen.
Auf der anderen Seite lieferte Phettberg als 150 Kilo schwerer Schwuler mit Hang zum Sadomasochismus den schlagenden Beweis dafür, dass es neben den Schönen, Starken und Tüchtigen auch noch andere Menschen in unserer Gesellschaft gab, die etwas zu sagen hatten.
Etwas poetischer formulierte es der „Spiegel“: „Wenn Phettberg redet, verschwimmt das scheinbar Abstoßende, der unerbittlich verunstaltete Körper und der schiefe Mund im verwüstete Gesicht, in der Aura eines sanften, poetisch verzweifelten Menschen.“ Na ja, der „Spiegel“ war halt immer schon das Zentralorgan der Magertopfenfraktion.
Harald Schmidt, in dessen Show Hermes auf dem Höhepunkt seiner Popularität natürlich auch einmal zu Gast war, sah das Ganze naturgemäß etwas nüchterner: „Ich finde Phettberg grandios. Für mich ist er ein Gesamtkunstwerk.“
Als weiterer entscheidender Punkt kam hinzu, dass Phettberg seinen Gästen auf Augenhöhe begegnete, und es in den Gesprächen immer auch um Inhalte ging, egal, ob man sich über Kartoffeln, Plastiksackerln oder das Universum unterhielt. Das war auch einer der Gründe, weshalb sich so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Marcel Prawy, Peter Weibel, Gerti Senger, Stefanie Werger, Franz Antel, Manfred Deix oder Johanna Dohnal nur in den höchsten Tönen über Phettbergs Gesprächsführung äußerten.
Phettberg selbst sah die Sache so: „Es ist eben ein Erzfehler der Anstalten, dass sie kein Vertrauen in den Menschen haben. Alles muss zu Tode vorbereitet werden, so wird das Fernsehen abkommen und in Vergessenheit geraten. Denn es langweilt uns junge Leute unendlich.“
Mit dem Medienhype um Phettberg fingen allerdings die Probleme erst so richtig an, weil Hermes das voyeuristische Interesse an seiner Person mit Zuneigung und Wertschätzung verwechselte. Es war ja tatsächlich wie im Märchen, aber wie die meisten Märchen, ging auch dieses nicht gut aus.
Ich habe Hermes einmal gefragt, ob er nicht sähe, dass die Medien ein doppeltes Spiel mit ihm trieben: „Zuerst katapultieren sie dich in die höchsten Höhen, um dich dann umso tiefer fallenzulassen.“ Hermes‘ Antwort darauf: „Jeder Journalist, der zu mir lieb ist, kann alles von mir haben, unstrategisch.“ Damit war die Sache erledigt, und egal, was die seriösen und weniger seriösen Käseblätter auch schrieben: Hermes fühlte sich wie ein König, und verhielt sich bald auch so.
Gleichzeitig muss ich Hermes zugute halten, dass er absolut unbestechlich war, wenn es um Werbeangebote ging. Es ist ja immer das Gleiche: Kaum wird jemand zum „Publikumsliebling“, schon reißen sich die Werbeagenturen um ihn – oder sie -, und ehe man sich‘s versieht, grinst man blöd von den Plakatwänden des Landes herunter. Als in der Zeitschrift „News“ ein Foto erschien, das den 150 Kilo schweren Phettberg im Ruderleiberl auf seinem Hometrainer zeigte, hätte die Firma „Sports Experts“ 100.000 Schilling bezahlt, wenn sie mit dem Foto Werbung für ihre Produkte hätte machen dürfen. Hermes lehnte ab, weil er sich nicht verkaufen wollte. So geht es auch.
Das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass es zwischen Hermes und mir bald ordentlich krachte. Ich möchte hier auf keine Details eingehen, aber nachdem ich aufgrund unüberbrückbarer Differenzen als Produzent und Regisseur von „Phettbergs Netter Leit Show“ ausgestiegen war, trennten sich unsere Wege. Der damalige ORF-Generalintendant Gerhard Zeiler und sein Programmdirektor Wolfgang Lorenz wollten uns zwar noch umstimmen, aber für mich kam eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr in Frage. Zeiler und Lorenz haben Phettberg und mir fürs Weitermachen übrigens sehr viel Geld geboten, womit auch das Märchen widerlegt wäre, dass der ORF die Show quasi „abgedreht“ hätte. Dem war definitiv nicht so, wobei es Zeiler natürlich ausschließlich um die Quote ging. Als SPÖ-Parteikarrierist, der als Pressesprecher den Bundeskanzlern Sinowatz und Vranitzky gedient hatte, war er als ORF-Generalintendant in erster Linie Pragmatiker. Skurril mutet es dann aber doch wieder an, dass ausgerechnet der als „mutig“ titulierte Vorgänger Zeilers, Gerd Bacher, am Beispiel der „Netten Leit Show“ den „Sittenverfall“ im ORF beklagte.
Als man bei RTL mitbekam, dass das Ende der „Netten Leit Show“ im Raum stand, schickte der Sender einen Unterhändler nach Wien, um Hermes und mir 2,5 Millionen Schilling für zwanzig Shows in Berlin anzubieten. Da das die Hälfte von dem war, was wir – umgerechnet auf eine einzelne Show – vom ORF bekamen, verlangten wir acht Millionen, inklusive des Transports der Originalglühbirnen vom Globussaal nach Berlin. Gescheitert ist der Deal schließlich an den Glühbirnen. Und an den Blechdosen sowie dem ausgestopften Socken, die wir bereits weggeworfen hatten. RTL appellierte zwar noch einmal an uns, vernünftig zu sein und „die Gunst der Stunde“ zu nutzen, wir aber blieben stur. Keine Glühbirnen – keine Show. Kein Wunder, dass wir vom RTL-Chefverhandler am Ende als „unprofessionelle Idioten“ beschimpft wurden, was wir durchaus als Kompliment auffassten.
Und heute? Heute sind Talkshows zu Durchlaufstationen für Halb- und Viertelpromis verkommen, die diese Sendungsmodule als Werbeplattformen für ihre veganen Hundekochbücher oder Diätratgeber der Marke „Wie werde ich fett, ohne abzunehmen“ benutzen.
In einem unserer vielen Gespräche hat Hermes einmal gesagt: „Es ist im Leben immer das Gleiche: Du willst was werden und scheiterst und scheiterst und scheiterst.“ Auf meine Frage, ob hinter diesem Scheitern nicht eine Strategie stecke, antwortete er, dass ich nichts verstehen würde. Aber so ist das halt mit Dick und Doof: Am Ende hat einer die Torte im Gesicht und der andere lacht (oder weint).
Oder, wie es der Katastrophenforscher Ingenieur Josef Pointner einmal in einer Show formulierte: „Im allgemeinen ist man sicher. In Ausnahmefällen passiert ein Unfall, und ganz selten eine Katastrophe.“
Kurt Palm lebt als Autor und Regisseur in Wien. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Bringt mir die Nudel von Gioachino Rossini“ im Residenz Verlag. Sein Spielfilm „Kafka, Kiffer und Chaoten“ hatte im Mai 2014 Premiere.
Hinweis: Sämtliche im ORF ausgestrahlten Folgen von „Phettbergs Netter Leit Show“ sind in einer DVD-Box, Laufzeit 20 Stunden, bei Hoanzl erschienen.
Der Standard, Album, 15. November 2014
Rauchzeichen
Rauchzeichen
Von Kurt Palm
Wann ich zum ersten Mal Zigarettenrauch eingeatmet habe, weiß ich nicht mehr. Allerdings bin ich mir sicher, dass es sehr früh gewesen sein muss. Sehr früh heißt: In meinen ersten Lebensmonaten. Ich vermute das deshalb, weil in meiner Umgebung viel geraucht wurde. Und daran änderte auch die Anwesenheit eines Babys nichts. Später ist mir dann aufgefallen, dass eigentlich nur die Männer geraucht haben. Rauchende Frauen gehörten in meiner Kindheit zu einer verschwindend kleinen Minderheit, die mit dem Akt des Rauchens einen Tabubruch begingen. Wie das Trinken, das Karten spielen oder das Auto fahren, war das Rauchen Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre eine fast ausschließlich männliche Domäne. Frauen wurden bestenfalls zu Passivraucherinnen degradiert.
Familiäre Zusammenkünfte an den Wochenenden waren ohne zigarettenrauchende Männer undenkbar. Dass in den Wohnungen geraucht wurde, war selbstverständlich. Kein Mensch wäre damals auf die Idee gekommen, zum Rauchen nach draußen zu gehen. Heute ist es genau umgekehrt. Als ich kürzlich bei Bekannten eingeladen war, dachte sich niemand etwas dabei, als der Gastgeber nach dem Essen zu seiner Zigarettenpackung griff und mit den Worten – „I rauch g‘schwind ane“ – auf den Balkon verschwand. Die Stigmatisierung der Raucher als asoziale Wesen wird also in vorauseilendem Gehorsam bereits in den eigenen vier Wänden praktiziert. Wobei in diesem Zusammenhang eine interessante Beobachtung zu machen ist: Während im privaten Bereich die Raucher ihrer Leidenschaft, ihrer Sucht oder ihrem Laster – je nach Betrachtungsweise – oft versteckt nachgehen, findet im öffentlichen Raum quasi eine Umkehrung statt. Auf Flughäfen oder Bahnhöfen, um nur zwei besonders krasse Beispiele zu nennen, werden Raucherinnen und Raucher für alle sichtbar in Glaskojen zur Schau gestellt, wobei diese Art der Zurschaustellung sicher ganz bewusst an Zoos erinnern soll.
Der Raucher wird auf diese Weise zu einer Art Outlaw erklärt und steht damit im Gegensatz zu jenem Abenteurer, ohne den die Zigarettenwerbung der 70er- und 80er-Jahre nicht vorstellbar wäre. Während der berühmte Marlboro-Cowboy mit jedem Zigarettenzug der grenzenlosen Freiheit ein Stück näher kam, verliert der Raucher heute mit jedem Zug ein Stück seiner Freiheit.
Aber selbstverständlich hatte die Werbung auch für diejenigen, die nicht gerne alleine auf Abenteuertrip gehen wollten, den richtigen Spruch parat. So lautete der Slogan für die Johnny-Zigaretten: „Mit Johnny hast du immer einen Freund, mit Johnny bist du nie allein.“
In meiner Erinnerung ist das Rauchen untrennbar mit einem Medium verbunden, das nicht wenig zur Popularität der Zigarette beigetragen hat: Das Fernsehen.
Da meine Großeltern in unserer Verwandtschaft die einzigen waren, die ein Fernsehgerät besaßen, entwickelte sich deren Küche vor allem an den Wochenenden zum Zentrum für familiäre Zusammenkünfte. Wenn samstags spät in der Nacht ein Western gezeigt wurde, trafen sich bereits am Abend mein Großvater, mein Vater und zwei Onkel, um sich mit einem Viererschnapser auf den Film einzustimmen. Dass dabei geraucht wurde, versteht sich von selbst. Ob das Passivrauchen den anwesenden Kindern schaden könnte, interessierte zu dieser Zeit – zumindest in Timelkam – keinen Menschen. Aber dafür, dass wir um 22 Uhr einen Western sehen durften, nahmen wir sogar das Passivrauchen in Kauf.
Ähnliches galt übrigens für den weiblichen Teil der Verwandtschaft, wenn Hans-Joachim Kulenkampffs Quizsendung „Einer wird gewinnen“ auf dem Programm stand. An solchen Abenden versammelten sich dann bis zu fünfzehn Personen in der kleinen Küche meiner Großeltern, und die Stimmung war entsprechend ausgelassen. Die Männer spielten Karten und rauchten, die Frauen sprachen über das Kochen, und die Kinder schrien, stießen Weingläser um oder zerbröselten Soletti-Stangerl auf dem Teppich. Dabei konnte es dann schon einmal vorkommen, dass meine Großmutter mit den Worten „Macht‘s nicht so einen Lärm! Was wird sich denn der Kulenkampff von uns denken!“ wieder für Ruhe sorgte.
Soweit ich mich erinnere, wurde in meiner Kindheit und Jugend eigentlich überall geraucht, ausgenommen vielleicht die Kirche, wobei es in Timelkam einen Mesner gab, der immerhin in der Sakristei rauchte. Selbst im alten Krankenhaus von Vöcklabruck gab es in jedem Stockwerk eine Raucherecke, wobei diese Ecke auf der Lungenstation besonders skurril anmutete. Heute ist das genauso unvorstellbar wie die Tatsache, dass man bis vor gar nicht so langer Zeit noch in Flugzeugen rauchen konnte. Ich erinnere mich an einen Tarom-Flug von Wien nach New York – Tarom war die staatliche rumänische Fluglinie – , während dem ich acht Stunden lang zwischen zwei kettenrauchenden Polen saß. Diesen Flug werde ich aber auch aus einem anderen Grund nicht vergessen: Bei der Ankunft in New York waren die Stewardessen und die Piloten derart betrunken, dass die Maschine zwei Stunden lang auf dem Rollfeld warten musste. Erst nachdem man einen Ersatzpiloten aufgetrieben hatte, konnte die Maschine die letzten paar hundert Meter bis zum Gate zurücklegen. Die links und rechts von mir sitzenden Polen vertrieben sich die Wartezeit natürlich damit, dass sie eine Zigarette nach der anderen pafften.
Dadurch, dass ich als Kind nur Männer sah, die rauchten, war für mich klar, dass ich als Erwachsener ebenfalls rauchen würde. Die Frage war nur: Ab wann war man alt genug, um rauchen zu dürfen? In diesem Zusammenhang befand sich die Gesellschaft in einem argen Dilemma: Auf der einen Seite wurde in Zeitungen, auf Plakatwänden, im Kino, im Fernsehen und im Radio hemmungslos für Zigaretten geworben, auf der anderen Seite versuchten Eltern ihre heranwachsenden Kinder davon zu überzeugen, dass das Rauchen eigentlich doch kein erstrebenswertes Ziel wäre. Als Hauptargument wurde dabei weniger der gesundheitliche, als vielmehr der finanzielle Aspekt ins Treffen geführt. Ich erinnere mich an Abende, an denen wir Kinder von unseren Eltern angehalten wurden, uns auszurechnen, wieviel wir uns ersparen würden, wenn wir bis zu unserem 80. Lebensjahr nicht rauchen würden. Am Ende kam immer eine derart gigantische Summe heraus, dass wir nicht verstehen konnten, weshalb mein Vater, meine Großväter, meine Onkel und auch sonst die meisten männlichen Erwachsenen in unserem Umfeld, ständig eine Zigarette im Mund hatten. Hätten sie ihr Geld nicht für Zigaretten ausgegeben, sondern auf ein Sparbuch gelegt, hätte eigentlich jeder von ihnen längst Millionär sein müssen.
Einschränken muss ich an dieser Stelle allerdings, dass mein Vater nur selbstgedrehte Zigaretten rauchte, die erheblich billiger waren als Markenzigaretten. Zum Leidwesen meines Vaters versuchten wir Kinder irgendwann ebenfalls, Zigaretten zu drehen. Heraus kamen dabei meist unförmigen Gebilde, die mein Vater dann in mühevoller Kleinarbeit wieder zerbröseln musste, um wenigstens den Tabak zu retten.
Irgendwann um meinem zwölften Geburtstag herum wurde der Drang, endlich selbst einmal eine Zigarette zu rauchen, so stark, dass ich mit einigen Freunden beschloss, den ersten Zug zu wagen. Durch diesen Initiationsritus wollten wir in die Welt der Erwachsenen aufgenommen werden, was diese aber natürlich nicht wissen durften. Da es in Timelkam nur eine Tabak-Trafik gab und das Ehepaar Angelmaier alle Kinder im Ort kannte, blieb uns gar nichts anderes übrig, als uns unsere Tschick selbst zu basteln. Also schnappten wir uns unsere Fahrräder und fuhren in die Au, wo wir uns am Ufer eines kleinen Baches niederließen, um aus Lianen Zigaretten ;herzustellen. Welches Papier wir verwendeten, weiß ich nicht mehr, aber ich weiß noch, dass der von uns allen seit Langem herbeigesehnte Tag der ersten Zigarette gehörig in die Hosen ging. Und das im wahrsten Sinn des Wortes. So, wie wir es in diversen Abenteuerfilmen gesehen hatten, zerkleinerten wir mit unseren Taschenmessern trockene Lianenfasern und versuchten diese in die mitgebrachten Papiere einzudrehen. Irgendwann hatten wir ein paar Objekte zwischen unseren Fingern, die zumindest entfernt an Zigaretten erinnerten. Das Zeug, das wir rauchten, schmeckte allerdings nicht nur grauenhaft, sondern stank auch fürchterlich. Aber da wir als Abenteurer nicht schlapp machen durften, rauchten wir die Lianenzigaretten tapfer zu Ende. Zu Hause angekommen, führte uns der erste Weg dann schnurstracks auf die Toilette, wo wir zum ersten Mal am eigenen Leib spürten, was das Wort Verdauungszigarette auch bedeuten kann. Aber da auch in diesem Fall galt, dass Rückschläge dazu da sind, um überwunden zu werden, war klar, dass wir irgendwann unsere erste richtige Zigarette rauchen würden. Gemäß dem Grundsatz: Man muss die erste überstehen, wenn man ein richtiger Raucher werden will.
Nach dem Erreichen des achtzehnten Lebensjahrs verlor das Rauchen für mich interessanterweise ein wenig an Reiz. Bedeutete das Rauchen bis dahin die Übertretung einer Norm, ging es jetzt eher darum, zu zeigen, dass das Rauchen ein sinnliches Vergnügen war. Zu diesem Zweck musste man nicht nur die richtige Marke rauchen, sondern durch die entsprechende Rauchtechnik auch zeigen, dass man kein blutiger Anfänger war.
Die intensivste Rauchphase meines Lebens war ident mit meiner Studentenzeit in Salzburg. Soweit ich mich erinnere, wurde damals praktisch immer und überall geraucht, wobei in der Zwischenzeit insofern eine kleine Revolution stattgefunden hatte, als es jetzt selbstverständlich war, dass auch die Frauen rauchten.
Da ich in meiner Studentenzeit sehr viel gereist bin, war es nicht unwichtig, welche Zigaretten man in den jeweiligen Ländern rauchte. In Frankreich rauchte man zum Beispiel nur gelbe Gitanes oder Gaulloises, in Italien MS, in der DDR Karo, in der Sowjetunion Papirossi, in der BRD Camel und in Jugoslawien F 57. Die F 57 waren übrigens der Grund, weshalb ich Anfang der achtziger Jahre mit dem Rauchen wieder aufgehört habe. Und das kam so: Am Ende eines dreiwöchigen Istrien-Urlaubs beschlossen meine damalige Freundin und ich, die Gunst der Stunde zu nutzen, und zehn Stangen F 57 nach Österreich zu schmuggeln. Verglichen mit österreichischen Zigaretten, ersparten wir uns auf diese Weise die Einrichtung eines kleinen Vorzimmers. Da wir neben den zehn Stangen F 57 auch noch dreißig Liter Rotwein im Auto versteckt hatten, war klar, dass eine Zollkontrolle unseren finanziellen Ruin bedeutet hätte. Zu unserem großen Glück winkten uns die Zöllner aber durch, was wiederum zur Folge hatte, dass in den folgenden Wochen unsere Haupttätigkeit im Zigarettenrauchen und Rotweintrinken bestand. Da die F 57 filterlose Zigaretten waren und rasch austrockneten – es handelte sich dabei also um richtige Beuschelreißer –, und de›r Wein in Fünf-Liter-Gallonen abgefüllt war, mussten wir praktisch permanent rauchen und trinken. Irgendwann ist mir von den F 57 und dem qualitativ nicht gerade hochwertigen Rotwein aber so schlecht geworden, dass ich eine richtiggehende Aversion gegen das Rauchen entwickelte. Die Aversion gegen das Rauchen (von Zigaretten, nicht von Joints) ist geblieben, die Aversion gegen das Weintrinken zum Glück nicht.
Trotz der Tatsache also, dass ich seit mittlerweile dreißig Jahren Nichtraucher bin, lehne ich die globalen Anti-Raucher-Kampagnen und die weltweit grassierenden Rauchverbote ab. Auch die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen, denen eine gewisse Penetranz nicht abzusprechen ist, finde ich eher komisch als hilfreich.…
* Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen.
* Rauchen kann zu Durchblutungsstörungen führen und verursacht Impotenz.
* Rauchen kann die Spermatozonen schädigen und schränkt die Fruchtbarkeit ein.
* Rauch enthält Benzol, Nitrosamine, Formaldehyd und Blausäure.
Nicht genug damit, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 1987 den Weltnichtrauchertag ins Leben gerufen, der jährlich am 31. Mai „gefeiert“ wird. Um diesem Tag etwas mehr Pepp zu geben, steht er jedes Jahr unter einem anderen Motto.
* Sportler und Künstler rauchen nicht!
* Rauchfreie Luft für freie Bürger!
* Film und Fernsehen: Mit Schall ohne Rauch!
* Rauchfreie Jugend.
* Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Dem Braintrust, der sich solche Slogans ausdenkt, würde ich übrigens gerne einmal bei der Arbeit zusehen.
Auch wenn die weltweiten Anti-Raucher-Kampagnen aus medizinischer Sicht sinnvoll sein mögen, verwundert es doch ein wenig, dass auf keiner Bier-, Wein- oder Schnapsflasche ähnliche Warnungen zu lesen sind. Außerdem stellt sich die Frage, ob nicht auf dem Großteil der Lebensmittelverpackungen stehen müsste, dass der Verzehr von deren Inhalten gesundheitsschädigend ist. Vom MacDonald‘s-Drecksfraß einmal ganz abgesehen.q Und wie verhält es sich eigentlich mit den Autos? Pro Jahr kommen weltweit ca. 1,2 Millionen Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben, aber ich habe noch kein Auto gesehen, auf dem vor der tödlichen Gefahr des Autofahrens gewarnt werden würde.
Denkt man die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen konsequent weiter, müsste eigentlich auch auf jedem Kleidungsetikett von H & M oder C & A der Hinweis stehen, dass der Kauf dieses Kleidungsstücks für Kinder in Bangladesch, China oder Indien tödlich sein könnte.
Mag ja sein, dass hinter den global geführten Anti-Raucher-Kampagnen tatsächlich die Sorge um die Gesundheit der Menschen steht, allerdings glaube ich, dass es dabei auch noch um etwas anderes geht, nämlich um soziale Kontrolle. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die generalstabsmäßig durchexerzierten Anti-Raucher-Kampagnen für die Herrschenden eine Art ETestlauf sind, um herauszufinden, wie weit sie die Massen steuern können, ohne dass diese Widerstand leisten. Was als Nächstes kommen wird, wissen wir nicht, aber wenn wir uns einmal vor Augen halten, dass unser Leben fast nur noch von Ver- und Geboten bestimmt wird, ist dieser Verdacht sicher nicht von der Hand zu weisen.
Aber wahrscheinlich muss man solche Entwicklungen in unserer Zeit des Gesundheits-, Körper- und Schönheitskults in Kauf nehmen, in der Light-Getränke und Diätmargarinen ein höheres Ansehen genießen als Zigaretten.
Auch wenn am 31. Mai der Weltnichtrauchertag gefeiert wird, gehört das Schlusswort einer Raucherin, und zwar der uruguayanischen Schriftstellern Cristina Peri Rossi: „Kann sein, dass die Zigarette auf lange Sicht tötet. Aber auf kurze Sicht ist sie ein Reiz, der seinesgleichen sucht. Auch das Leben tötet – immer –, und doch lieben wir es – hin und wieder.“
Der Standard, Album, 25. Mai 2013
Frucade und Eierlikör
Frucade und Eierlikör
Vor zwanzig Jahren, am 12. November 1994, ging im Speisesaal des Globus-Verlags die erste Folge von „Phettbergs Netter Leit Show“ über die Bühne. Erinnerungen an eine Zeit, in der das Fernsehen noch nicht ganz so reaktionär war wie heute.
Es war am 4. Oktober 1994 um 17 Uhr 04, als ich Hermes Phettberg per Telefax das Konzept für ein neues Theaterformat übermittelte. Telefax? Ja, so etwas gab es damals noch, und der legendäre Ingenieur Hugo Kirnbauer erklärte in einer „Netten Leit Show“ sogar einmal, wie diese „revolutionäre Erfindung“ funktionierte: „Jeder Buchstabe ist ein Byte. Und jedes Byte besteht aus acht Bits.“ Verstanden habe ich es nicht, aber ich habe auch nicht verstanden, woran der Lebensmittelkontrolleur Professor Psota erkennen konnte, ob in einem Chinarestaurant die knusprige Ente verdorben war oder nicht. Ich glaube, es hatte irgendetwas mit Geschmacksverstärkern und ominösen „weißen Flankerln“ zu tun.
Bevor ich aber abschweife, kommen wir wieder zurück zum 4. Oktober 1994. Unserer Theatergruppe „Sparverein Die Unzertrennlichen“ war gerade ein Stück ausgefallen und wir mussten schnellstmöglich eine Ersatzproduktion auf die Füße stellen. Da ich aufgrund unserer langjährigen Zusammenarbeit Phettbergs schauspielerisches Talent kannte, schlug ich ihm vor, an sechs Samstagen eine Live-Talkshow als Bühnenstück zu machen.
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Ich erwähne die langjährige Zusammenarbeit mit Hermes auch deshalb, weil nach dem Erfolg der „Netten Leit Show“ immer wieder so getan wurde, als hätte ich die Kunstfigur Hermes Phettberg erfunden. Das ist Unsinn, weil Hermes bereits von 1991 bis 1994 unter meiner Regie bei fünf Produktionen des „Sparvereins“ als Schauspieler mitgewirkt hat. Dabei brillierte er in Stücken von Flann O‘Brien oder Gustave Flaubert ebenso wie im Western „Bringt mir die Hörner von Wilmingtons Kuh“ oder im Krimi „Bei Anruf – Mord“.
Dass „Phettbergs Nette Leit Show“ so erfolgreich war, hing sicherlich auch damit zusammen, dass sie von Anfang an als Theaterstück konzipiert war. Natürlich konnte Phettberg improvisieren, allerdings nur innerhalb eines festgelegten dramaturgischen Rahmens. Ohne einen solchen Rahmen hätte diese Produktion nicht funktioniert, wenngleich auch der Zufall – wie immer im Leben – eine große Rolle spielte. Dazu zwei Beispiele:
Während einer Zugfahrt mit Hermes fiel mir auf, dass er ständig eine braune, extrem hässliche Aktenmappe aus Kunstleder unter den Arm geklemmt hatte. Ich sprach ihn darauf an und wir beschlossen, die Mappe in der Show als Requisit zu verwenden. Und zwar als Aufbewahrungsort für den Flaschenöffner, mit dem er die Frucadeflaschen öffnete. Die Krux an der Sache war allerdings, dass sich dieser Öffner in einem zugeklebten Kuvert befand, der während der Show umständlich aus der Tasche herausgeholt werden musste, um dann ebenso umständlich darin wieder verstaut zu werden. Tja, so etwas passiert, wenn man nur einen Flaschenöffner besitzt, den man keinesfalls verlieren darf, weil man ja sonst die Frucadeflaschen nicht öffnen hätte können. Wer jetzt meint, wir hätten ja einen zweiten Flaschenöffner kaufen können, versteht das Wesen des neurotischen Rituals nicht.
Oder nehmen wir die zehn Dosen, auf die am Ende der Show mit einem ausgestopften Socken geschossen wurde. Dafür wurden ausschließlich leere Dosen aus dem reichen Bestand von Hermes Phettberg verwendet, die farblich aufeinander abgestimmt waren. Der – gewaschene – Socken stammte von mir, wobei es einmal beinahe zu einer Katastrophe gekommen wäre: Als Hermann Nitsch am 1. Juli 1995 beim Dosenschießen nämlich den Ball sehr weit danebenwarf, und dieser (der Ball, nicht Hermann Nitsch) durch das offene Fenster im zweiten Stock des Veranstaltungssaales ins Freie hinaus auf die Meldemannstraße fiel, mussten sofort mehrere Personen ausströmen, um den Ball zu suchen. Glücklicherweise wurde er auf einem Kanalgitter liegend gefunden, und die Show konnte ungehindert fortgesetzt werden. Wäre der ausgestopfte Socken in der Wiener Kanalisation verschwunden, hätte das für das Fernsehen ungeahnte Folgen haben können.
Daran sieht man, dass „Phettbergs Nette Leit Show“ das Produkt eines pedantischen Chaoten (Phettberg) und eines chaotischen Pedanten (Palm) war, wobei die entscheidende Kategorie die Pedanterie war, weil sich das Chaos ohnehin von selbst einstellte.
Wie es sich für ein ordentliches Theaterstück gehörte, gab es natürlich auch ein Bühnenbild, es gab für Phettberg, den Assistenten Robin und die „Brüder Poulard“ Kostüme, und es gab eine Bühnenmusik, die live von Chrono Popp beigesteuert wurde. Dazu kamen als weitere Fixpunkte das „Video der Woche“ (z. B. „Zu Besuch bei Elfriede Jelinek“ oder „Zu Besuch beim österreichischen Stenografenverband“), die berühmt gewordene Eingangsfrage „Frucade oder Eierlikör?“, das Dosenschießen und nicht zuletzt das Polaroidfoto, das Robin von jedem Gast mit Phettberg machte. Selfies? Fehlanzeige.
Als mich bei unserer ersten Besprechung im „Café Jelinek“ Hermes fragte, wie die Produktion heißen solle, schob ich ihm einen Zettel über den Tisch: „Phettbergs Late Night Show“ stand da drauf. Er übersetzte diesen auf dem Kopf stehenden Titel mit: „Phettbergs Nette Leit Show“. Ping – Pong. So funktionierte das zwischen uns und wahrscheinlich war das auch der Grund, weshalb Hermes später einmal meinte, wir beide wären wie Dick und Doof oder wie Karl Farkas und Ernst Waldbrunn oder wie Kochtopf und Deckel. Das war auf der einen Seite ganz lustig, auf der anderen Seite aber auch ziemlich anstrengend. Vor allem, wenn der Kochtopf ständig am Überkochen war.
Als Aufführungsort für unser Stück wählten wir den von Margarete Schütte-Lihotzky erbauten Globus-Verlag der KPÖ, weshalb wir als ersten Gast auch gleich Franz Muhri, den ehemaligen Vorsitzenden der KPÖ, einluden. Bei einer der ersten Shows schaute einmal auch die damals 97-jährige Architektin und Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky vorbei, die vom Publikum entsprechend gefeiert wurde.
Mit 200 Besucherinnen und Besuchern war die erste „Nette Leit Show“ ziemlich gut besucht, vor allem wenn man bedenkt, dass die Veranstaltung erst um 22 Uhr begann und der Globus-Verlag am Höchstädtplatz im 20. Bezirk gar nicht so leicht zu erreichen war. Eine Woche später kamen bereits 400 Leute, in der Woche darauf waren es 600, und bei der letzten Show der ersten Staffel am 17. Dezember 1994 stürmten 1.100 Leute den ehemaligen Speisesaal der KPÖ-Zentrale. Und das ganz ohne Facebook! Gäste waren damals Franz Morak, Valie Export und Josef Hader. Und wie immer gab es Wurstsemmeln (mit Gurkerln), Flaschenbier und T-Shirts mit Phettbergs Konterfei.
Als der ORF dann trotz zweimaliger Ablehnungen doch noch Interesse an „Phettbergs Netter Leit Show“ zeigte, entschlossen wir uns, zwischen Juni 1995 und April 1996 drei weitere Staffeln zu produzieren. Ausgestrahlt wurden die auf 50 Minuten gekürzten Shows, die live knapp zwei Stunden dauerten, dienstags um 23 Uhr im Rahmen der „Kunststücke“ auf ORF 2 und bescherten dem Sender mit einem durchschnittlichen Marktanteil von 33 % sensationelle Quoten. Im ORF und auf 3sat haben „Phettbergs Nette Leit Show“ insgesamt sechs Millionen Menschen gesehen.
Aber nicht nur die Zuschauerzahlen waren enorm, auch das Medienecho war gigantisch. In der japanischen Tageszeitung „Mainichi Shimbun“ erschien eine dreiteilige Serie über Phettberg, und die spanische Zeitung „El Pais“ berichtete ebenso über „das Phänomen Phettberg“ wie „Der Spiegel“, „Die Zeit“, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“, der „Stern“ oder die „Neue Zürcher Zeitung“.
Als Folge des Medienhypes wurden auch drei Bücher über den neuen Fernsehstar aus Gumpendorf herausgebracht. In seinem Buch „Hermes Phettberg. Die Krücke als Zepter“, schrieb der Journalist Klaus Kamolz: „Phettberg ist wie ein Messias über die trostlose österreichische Medienlandschaft gekommen. Da führte einer das Fernsehen vor und entblößte seine Peinlichkeit, indem er es bis zur Kenntlichkeit entstellte: Das Medium war nackt bis auf die Haut, seine Professionalität als lächerliche Pose entlarvt. “
Die Gründe dafür, dass die „Nette Leit Show“ binnen kürzester Zeit Kultstatus erlangte, waren vielfältig:
Auf der einen Seite wurde die Show sicherlich als Antithese zur Programmpolitik des ORF, deren Ziel ja die Verblödung des Publikums war, verstanden. Das hatte auch die „Kronen Zeitung“ begriffen, in der nach der Ausstrahlung der ersten Show zu lesen war: „Mit dieser inakzeptablen Sendung taucht der ORF gefährlich in die Niederungen des Unappetitlich-Grindigen ein. Einen witzlosen Fettberg, der sich blöd stellt und kein Hehl aus seinen verschimmelten linken Vorlieben macht, braucht der ORF nicht.“
Meine Rache folgte auf dem Fuß, indem ich in der folgenden Show in meinem Brief, den Hermes immer am Ende vorlas, die „Kronen Zeitung“ als „erzreaktionäres Revolverblatt“ bezeichnete. Einige ORF-Redakteure wollten, dass ich diese Passage herausschneide, was ich natürlich nicht tat. Daraufhin verlangte Hans Dichand in einem „Krone“-Leitartikel, dass mich der ORF gefälligst rauswerfen solle. Unser Plan, eine wilde, anarchische, linke Show zu machen, die nichts mit dem ganzen Dreck zu tun hatte, der unter der Bezeichnung „Talkshow“ im Fernsehen lief, war also aufgegangen.
Auf der anderen Seite lieferte Phettberg als 150 Kilo schwerer Schwuler mit Hang zum Sadomasochismus den schlagenden Beweis dafür, dass es neben den Schönen, Starken und Tüchtigen auch noch andere Menschen in unserer Gesellschaft gab, die etwas zu sagen hatten.
Etwas poetischer formulierte es der „Spiegel“: „Wenn Phettberg redet, verschwimmt das scheinbar Abstoßende, der unerbittlich verunstaltete Körper und der schiefe Mund im verwüstete Gesicht, in der Aura eines sanften, poetisch verzweifelten Menschen.“ Na ja, der „Spiegel“ war halt immer schon das Zentralorgan der Magertopfenfraktion.
Harald Schmidt, in dessen Show Hermes auf dem Höhepunkt seiner Popularität natürlich auch einmal zu Gast war, sah das Ganze naturgemäß etwas nüchterner: „Ich finde Phettberg grandios. Für mich ist er ein Gesamtkunstwerk.“
Als weiterer entscheidender Punkt kam hinzu, dass Phettberg seinen Gästen auf Augenhöhe begegnete, und es in den Gesprächen immer auch um Inhalte ging, egal, ob man sich über Kartoffeln, Plastiksackerln oder das Universum unterhielt. Das war auch einer der Gründe, weshalb sich so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Marcel Prawy, Peter Weibel, Gerti Senger, Stefanie Werger, Franz Antel, Manfred Deix oder Johanna Dohnal nur in den höchsten Tönen über Phettbergs Gesprächsführung äußerten.
Phettberg selbst sah die Sache so: „Es ist eben ein Erzfehler der Anstalten, dass sie kein Vertrauen in den Menschen haben. Alles muss zu Tode vorbereitet werden, so wird das Fernsehen abkommen und in Vergessenheit geraten. Denn es langweilt uns junge Leute unendlich.“
Mit dem Medienhype um Phettberg fingen allerdings die Probleme erst so richtig an, weil Hermes das voyeuristische Interesse an seiner Person mit Zuneigung und Wertschätzung verwechselte. Es war ja tatsächlich wie im Märchen, aber wie die meisten Märchen, ging auch dieses nicht gut aus.
Ich habe Hermes einmal gefragt, ob er nicht sähe, dass die Medien ein doppeltes Spiel mit ihm trieben: „Zuerst katapultieren sie dich in die höchsten Höhen, um dich dann umso tiefer fallenzulassen.“ Hermes‘ Antwort darauf: „Jeder Journalist, der zu mir lieb ist, kann alles von mir haben, unstrategisch.“ Damit war die Sache erledigt, und egal, was die seriösen und weniger seriösen Käseblätter auch schrieben: Hermes fühlte sich wie ein König, und verhielt sich bald auch so.
Gleichzeitig muss ich Hermes zugute halten, dass er absolut unbestechlich war, wenn es um Werbeangebote ging. Es ist ja immer das Gleiche: Kaum wird jemand zum „Publikumsliebling“, schon reißen sich die Werbeagenturen um ihn – oder sie -, und ehe man sich‘s versieht, grinst man blöd von den Plakatwänden des Landes herunter. Als in der Zeitschrift „News“ ein Foto erschien, das den 150 Kilo schweren Phettberg im Ruderleiberl auf seinem Hometrainer zeigte, hätte die Firma „Sports Experts“ 100.000 Schilling bezahlt, wenn sie mit dem Foto Werbung für ihre Produkte hätte machen dürfen. Hermes lehnte ab, weil er sich nicht verkaufen wollte. So geht es auch.
Das änderte allerdings nichts an der Tatsache, dass es zwischen Hermes und mir bald ordentlich krachte. Ich möchte hier auf keine Details eingehen, aber nachdem ich aufgrund unüberbrückbarer Differenzen als Produzent und Regisseur von „Phettbergs Netter Leit Show“ ausgestiegen war, trennten sich unsere Wege. Der damalige ORF-Generalintendant Gerhard Zeiler und sein Programmdirektor Wolfgang Lorenz wollten uns zwar noch umstimmen, aber für mich kam eine weitere Zusammenarbeit nicht mehr in Frage. Zeiler und Lorenz haben Phettberg und mir fürs Weitermachen übrigens sehr viel Geld geboten, womit auch das Märchen widerlegt wäre, dass der ORF die Show quasi „abgedreht“ hätte. Dem war definitiv nicht so, wobei es Zeiler natürlich ausschließlich um die Quote ging. Als SPÖ-Parteikarrierist, der als Pressesprecher den Bundeskanzlern Sinowatz und Vranitzky gedient hatte, war er als ORF-Generalintendant in erster Linie Pragmatiker. Skurril mutet es dann aber doch wieder an, dass ausgerechnet der als „mutig“ titulierte Vorgänger Zeilers, Gerd Bacher, am Beispiel der „Netten Leit Show“ den „Sittenverfall“ im ORF beklagte.
Als man bei RTL mitbekam, dass das Ende der „Netten Leit Show“ im Raum stand, schickte der Sender einen Unterhändler nach Wien, um Hermes und mir 2,5 Millionen Schilling für zwanzig Shows in Berlin anzubieten. Da das die Hälfte von dem war, was wir – umgerechnet auf eine einzelne Show – vom ORF bekamen, verlangten wir acht Millionen, inklusive des Transports der Originalglühbirnen vom Globussaal nach Berlin. Gescheitert ist der Deal schließlich an den Glühbirnen. Und an den Blechdosen sowie dem ausgestopften Socken, die wir bereits weggeworfen hatten. RTL appellierte zwar noch einmal an uns, vernünftig zu sein und „die Gunst der Stunde“ zu nutzen, wir aber blieben stur. Keine Glühbirnen – keine Show. Kein Wunder, dass wir vom RTL-Chefverhandler am Ende als „unprofessionelle Idioten“ beschimpft wurden, was wir durchaus als Kompliment auffassten.
Und heute? Heute sind Talkshows zu Durchlaufstationen für Halb- und Viertelpromis verkommen, die diese Sendungsmodule als Werbeplattformen für ihre veganen Hundekochbücher oder Diätratgeber der Marke „Wie werde ich fett, ohne abzunehmen“ benutzen.
In einem unserer vielen Gespräche hat Hermes einmal gesagt: „Es ist im Leben immer das Gleiche: Du willst was werden und scheiterst und scheiterst und scheiterst.“ Auf meine Frage, ob hinter diesem Scheitern nicht eine Strategie stecke, antwortete er, dass ich nichts verstehen würde. Aber so ist das halt mit Dick und Doof: Am Ende hat einer die Torte im Gesicht und der andere lacht (oder weint).
Oder, wie es der Katastrophenforscher Ingenieur Josef Pointner einmal in einer Show formulierte: „Im allgemeinen ist man sicher. In Ausnahmefällen passiert ein Unfall, und ganz selten eine Katastrophe.“
Kurt Palm lebt als Autor und Regisseur in Wien. Zuletzt erschien von ihm der Roman „Bringt mir die Nudel von Gioachino Rossini“ im Residenz Verlag. Sein Spielfilm „Kafka, Kiffer und Chaoten“ hatte im Mai 2014 Premiere.
Hinweis: Sämtliche im ORF ausgestrahlten Folgen von „Phettbergs Netter Leit Show“ sind in einer DVD-Box, Laufzeit 20 Stunden, bei Hoanzl erschienen.
Der Standard, Album, 15. November 2014
„Zieh deine Schlapfen an“
„Zieh deine Schlapfen an“
Von Kurt Palm
Vier Stunden, bevor meine Mutter starb, sagte sie zu mir: „Zieh deine Schlapfen an. Der Boden ist kalt.“ Das war um fünf Uhr früh, als ich sie ins Bad begleitete, weil sie aufs Klo mußte. Während sie auf dem Klo saß, holte ich mir meine Hausschlapfen, was ich nicht getan hätte, wenn sie gesund gewesen wäre. Aber jetzt war alles anders und ich wußte, dass meine Mutter nicht mehr lange leben würde. Also tat ich ihr den Gefallen.
Nachdem ich ihr wieder ins Bett geholfen hatte, fragte ich sie, ob ich sie mit Wick VapoRub einreiben solle. Ihre Antwort war kaum hörbar: „Ja, schmier mich halt ein.“ Der Geruch der Salbe erinnerte mich an meine Kindheit, als meine Mutter mir den Brustkorb einrieb, wenn ich eine Erkältung hatte. Jetzt war es umgekehrt, nur mit dem Unterschied, dass meine Mutter keine Erkältung hatte, sondern todkrank war. Auch den Tee, den ich ihr brachte, konnte sie nur noch mit meiner Hilfe trinken. Und als würden sich tatsächlich alle Verhältnisse umkehren, sagte ich zu ihr, während ich sie zudeckte: „Mama, heute ist Sonntag, heute können wir länger schlafen.“ Früher sagte das meine Mutter sonntags immer zu mir und meinen beiden Geschwistern.
Bevor ich mich auf die Küchen-Couch in mein provisorisches Bett legte, setzte ich mich an den Tisch und studierte noch einmal die Liste mit den Medikamenten, die ich meiner Mutter geben sollte. Es waren neun verschiedene Medikamente, die – glaubte man den Beipacktexten – durchaus in der Lage gewesen wären, einen gesunden Menschen zu töten. Dass diese Tabletten einem schwer kranken Menschen helfen konnten, bezweifelte ich stark, aber meine Schwester versicherte mir, dass sie alles mit den behandelnden Ärzten abgesprochen hätte. Nachdem meine Schwester völlig erschöpft nach Hause gefahren war, war also ich jetzt mit der Pflege meiner Mutter an der Reihe. Nach mir sollte mein Bruder kommen, dann wieder meine Schwester usw.
Meine Mutter war in der Zwischenzeit eingeschlafen und zitterte am ganzen Körper. Ich ging zu ihr und hielt ihre Hand. Sie öffnete kurz die Augen und fragte: „Hast du einen guten Besen?“ Ich bejahte ihre Frage und sagte, dass ich sogar einen Bartwisch habe. „Ach so“, sagte sie, und schlief wieder ein. Dann murmelte sie: „Herbst ist.“
Meine Mutter hatte recht, es war Herbst. Genau genommen war es der 4. Oktober 2003, ein scheußlicher Tag, an dem der Wind den Regen gegen die Fenster peitschte und die grauen Wolken tief hingen.
Ich legte mich kurz hin, konnte aber nicht schlafen und setzte mich wieder ans Bett meiner Mutter. Ich streichelte ihre Wangen, worauf sie mich ansah und sagte: „Dober dan“. Ich antwortete: „Kako ti ide? Zelite li jedno pivo? Ja cu vam dovesti.“ Sie lächelte. „Wie geht es Ihnen? Wollen Sie ein Bier? Ich hole Ihnen eines.“ Das war der Spruch, den uns unsere Eltern gelernt hatten, als Mitte der sechziger Jahre jugoslawische Gastarbeiter in Timelkam Künetten für die Kanalisation gruben.
Um sieben Uhr bekam meine Mutter einen Hustenanfall und mußte sich aufsetzen. Ich gab ihr ein Hustenzuckerl und etwas Tee. Sie legte sich wieder hin und schlief sofort ein. Während sie phantasierte, bereitete ich alles für die morgendliche Medikamenteneinnahme vor. Um acht Uhr wurde meine Mutter wach und bat mich, die Vorhänge zurückzuziehen. Draußen regnete es immer noch und eine Wetterbesserung war nicht in Sicht. Ich fragte meine Mutter, ob sie mit mir beten wolle. Sie sagte, vielleicht später. Am Vorabend hatten wir gemeinsam ein „Vater unser“ und ein „Gegrüßet seist Du, Maria“ gebetet. Meine Mutter hat mit geschlossenen Augen gebetet und meine Hand gehalten. Ich hatte zuvor das Licht ausgemacht und die Fatima-Kerze angezündet, die neben ihrem Bett auf dem Tischchen stand. Nach dem Gebet sah sie mich an und sagte: „So ein braver Bua.“ Ich nickte lächelnd, ging in die Küche und trank ein Bier. Dann ging ich ins Wohnzimmer und sah mir im Fernsehen eine Talkshow an. Das war am Vorabend gewesen.
Jetzt war es acht Uhr in der Früh und meine Mutter sollte noch siebzig Minuten leben. Das Telefon läutete. Es war meine Schwester, die sich nach Mutters Gesundheitszustand erkundigte und zu Mittag mit Champignon-Sauce und Semmelknödeln vorbeikommen wollte.
Kurz vor neun wachte meine Mutter auf und stöhnte. Ich ging zu ihr und fragte, ob alles in Ordnung sei. Sie sagte: „Ich setze mich ein bisschen auf.“ Ich half ihr und gab ihr eUin Papiertaschentuch, um das sie mich gebeten hatte. Sie fragte, wo die Christa sei. Ich antwortete, dass sie angerufen habe und zu Mittag mit Champignon-Sauce und Knödeln vorbeikommen werde. Dann fragte sie, was das für Salben auf dem Tisch seien. Ich erklärte ihr, was es mit den Salben auf sich habe. Sie deutete auf die Hirschtalg-Tube und fragte: „Ist die auch zum Schneuzen?“
Gerade als ich antworten wollte, griff sie sich ans Herz und sagte: „Es tut so weh. Hol den Doktor.“ Ich nahm sie in die Arme und legte sie vorsichtig aufs Bett. Im Hinlegen sah sie mich noch einmal an, dann starrte sie an die Decke und begann zu röcheln. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass meine Mutter im Sterben lag. Zuerst röchelte sie in kurzen Abständen, dann wurden die Abstände immer länger, dann war nichts mehr. Wie lange der Übergang vom Leben zum Tod gedauert hat, weiß ich nicht, ich weiß nur, dass ich versucht habe, möglichst ruhig zu bleiben und meiner Mutter das Gefühl zu geben, dass sie nicht alleine war.
Da ich noch nie einen Menschen sterben sah, wußte ich nicht, woran man erkannte, dass jemand tatsächlich tot war. Ich hielt den Atem an und wartete auf ein Zeichen. Es kam aber kein Zeichen. Das einzige, was ich hörte, war der Regen, der monoton gegen die Fensterscheiben trommelte. Wenn im Film ein Mensch stirbt, gibt es die entsprechende Musik dazu. Warum eigentlich? Um vom Faktum des Todes abzulenken? Oder um das – ohnehin fiktive – Sterben erträglicher zu machen? Im wirklichen Leben stirbt der Mensch meist ohne Musikbegleitung. Im Augenblick des Todes meiner Mutter war die Geräuschkulisse jedenfalls banal. Neben dem Regen hörte ich bloß das Ticken der Uhr und das Brummen des Kühlschranks. Was meine Mutter hörte, weiß ich nicht. Aber was heißt eigentlich: „Augenblick des Todes?“ Der Arzt, der zu Mittag kam, um den Totenschein auszustellen, meinte, dass meine Mutter binnen weniger Sekunden an einem „plötzlichen Herztod“ gestorben sei. Ich hatte allerdings das Gefühl, dass der Todeskampf wesentlich länger gedauert hat. Vielleicht sogar einige – endlos lange – Minuten.
Obwohl ich mir nicht ganz sicher war, dass meine Mutter tot war, zündete ich eine Kerze an und sagte ihr, dass ich kurz telefonieren müsse. Ich ging ins Vorzimmer und rief meine Schwester in Vöcklabruck und meinen Bruder in Zürich an. Mein Bruder sagte, dass er sich sofort in den Zug setzen und am späten Nachmittag in Timelkam ankommen werde. Seine Frau und die beiden Kinder würden in der Kirche in Einsiedeln für unsere Mutter beten. Wieder im Zimmer, küßte ich meine Mutter auf beide Wangen, dankte ihr für alles und versuchte, ihre Augen zu schli eßen, was mir aber nicht gelang. Trotz des heftigen Regens, öffnete ich das Fenster, um der Seele meiner Mutter die Möglichkeit zu geben, nicht nur ihren Körper, sondern auch das Haus, in dem sie fast fünfzig Jahre lang gewohnt hatte, zu verlassen. Die Theorie, wonach ein Mensch, sobald er stirbt, um 21 Gramm leichter wird, leuchtete mir in diesem Augenblick jedenfalls ein.
Bis Mittag kamen einige Nachbarn und Verwandte, um Abschied von „der Anna“ bzw. von „Frau Palm“ zu nehmen. Meine Schwester suchte das Gewand aus, mit dem unsere Mutter begraben werden sollte. Am frühen Nachmittag holten zwei Mitarbeiter der Bestattung den Leichnam ab, der am nächsten Tag in der Friedhofskapelle in Oberthalheim aufgebahrt wurde.
Die vielen Formalitäten, die nach einem Todesfall zu erledigen sind, habenç den Vorteil, dass man nicht viel zum Nachdenken kommt. Alleine die Vorbereitungen eines Begräbnisses nehmen mindestens zwei Tage in Anspruch, nicht zu reden von den bürokratischen Hürden, die bei Bankinstituten, Versicherungen, Behörden und Vereinen genommen werden müssen, um einen Toten ordnungsgemäß „abzumelden“.
Am Abend des Sonntags, an dem meine Mutter starb, fuhr ich zu meiner Schwester nach Vöcklabruck, um – gemeinsam mit meinem Bruder – die Champignon-Sauce und die Semmelknödel zu essen, die eigentlich für mich und meine Mutter bestimmt waren. Ich trank dazu zwei Bier und fuhr wieder nach Hause. Es war seit ewigen Zeiten das erste Mal, dass ich im Haus meiner Eltern alleine war. Ich ging in den Keller, setzte mich auf einen Campingstuhl neben die Tiefkühltruhe und öffnete eine Flasche Schnaps. Die Flasche stammte noch von meinem Vater, der sich im Keller einen kleinen Vorrat an Schnapsflaschen angelegt hatte. Ich trank aus der Flasche auf das Wohl meiner Mutter und meines Vaters, die jetzt beide tot waren.
Anschließend ging ich in das Zimmer, in dem meine Mutter gestorben war, zündete eine Kerze an und stellte sie auf das Fensterbrett. Im Wohnzimmer schaltete ich den Fernsehapparat ein und sah beim Zappen mehrere Menschen sterben. Kurz vor Mitternacht blies ich die Kerze im Sterbezimmer aus und legte mich in meinem früheren Zimmer im ersten Stock schlafen. Ich ließ sämtliche Türen des Hauses offen. In der Nacht träumte ich von Geistern, die durch unser Stiegenhaus schwebten. Es waren freundliche Geister.
„Der Standard“, Album, 31. Mai 2008
Mozart, der Islam und der Henker von Salzburg
„Erst geköpft, dann gehangen“
Mozart, der Islam und der Henker von Salzburg
Von Kurt Palm
Am 11. November 1780 notierte Nannerl Mozart in ihr Tagebuch: „Zwei arme Sünder entköpfet worden.“ Bei den Delinquenten, die vom Salzburger Scharfrichter Franz Joseph Wohlmuth unter großer Anteilnahme der Bevölkerung enthauptet wurden, handelte es sich um den 29-jährigen Bäckerjungen Kaspar Bleicher und den 31-jährigen Lederergesellen Florian Albrechts. Der Kopf Bleichers wurde zur Abschreckung auf einen Pfahl gesteckt und der Körper Albrechts auf ein Rad geflochten. Kopf und Körper blieben so lange ausgestellt, bis die Vögel das Fleisch von den Knochen gefressen hatten.
Im „Executions-Einschreibbuch“ Wohlmuths tragen die Hingerichteten die Nummern 164 und 165. Während seiner Amtszeit als Salzburger Scharfrichter beförderte Wohlmuth zwischen 1757 und 1817 insgesamt 226 Verurteilte vom Leben zum Tod. Als Wohlmuth seine Meisterprüfung ablegte und einen Verurteilten mit einem einzigen Schwerthieb erfolgreich köpfte, war er gerade einmal neunzehn Jahre alt.
Franz Joseph Wohlmuth war in Salzburg aber nicht nur für die Hinrichtungen mit dem Schwert und dem Galgen verantwortlich, sondern auch für die Folterungen und körperlichen Züchtigungen. Aus Wohlmuths penibel geführten Aufzeichnungen geht hervor, dass er die Folter in Salzburg noch bis 1801 anwandte, während diese in Österreich bereits 1776 abgeschafft worden war.
Dass die Delinquenten zum größten Teil aus den unteren sozialen Schichten stammten, versteht sich angesichts der politischen Verhältnisse und des Rechtsverständnisses im katholischen Fürsterzbistum Salzburg von selbst.
Die Vollstreckung der vielen Todesurteile war freilich nicht die einzige Besonderheit, durch die sich die Rechtsprechung im Erzstift auszeichnete. Ein weiteres Spezifikum waren hier die Unzuchtsstrafen, die besonders hart ausfielen, wenn es sich um Mütter außerehelicher Kinder oder um Mädchen und Frauen handelte, die „sittlicher“ Verfehlungen beschuldigt wurden. In diesem Zusammenhang notierte Nannerl Mozart im August 1775, dass im Rathaus „7 Jungfern ausgepeitscht und 6 in das Zuchthaus geführt wurden“.
Ihr Vater, Leopold, schrieb im Mai 1785, dass in Salzburg 17 bettelnde Frauen ins Zuchthaus geworfen und „einige“ Bettlerinnen öffentlich geprügelt oder an den Pranger gestellt wurden. Andere wurden des Landes verwiesen und mit dem Buchstaben S gebrandmarkt, damit man außerhalb Salzburgs wusste, woher die Verurteilten kamen. Der Hass auf Bettler hat in Salzburg also eine längere Tradition als manche glauben mögen.
Ein halbes Jahr später berichtete Leopold Mozart, dass ein verurteilter Soldat auf dem heutigen Makartplatz „von 200 Mann 10 mal“ mit Spießruten geschlagen wurde. In der „Zauberflöte“ droht der edle Sarastro dem bösen Mohren Monostatos nur „77 Sohlenstreich“ an.
Wie sehr Hinrichtungen damals Teil des Alltagslebens waren, geht auch aus einem Brief hervor, den Leopold Mozart im Oktober 1777 an seinen Sohn nach München schrieb: „Heute in der Früh hat man einen aufgehenkt. Abends ist Komödie, morgen maskierter Ball, den der Fürst Breiner gibt.“ Sechs Wochen später berichtete Leopold über die Hinrichtung eines 19-jährigen Diebes, dessen Körper ebenfalls auf das Rad geflochten wurde.
Einem französischen Soldaten, der zum Tod durch den Strang verurteilt worden war, wurde von Wohlmuth eine Hand abgehackt und wieder verbunden, damit der Verurteilte nicht vor der Hinrichtung verblutete.
Wir halten also fest, dass zur Mozartzeit in Salzburg an Frauen und Männern die Prügelstrafe vollzogen wurde, Häftlinge brutalen Folterungen ausgesetzt waren und zum Tode Verurteilte nicht nur öffentlich hingerichtet, sondern zur Abschreckung auch gepfählt oder auf das Rad geflochten wurden.
Die Hinrichtungs- und Folterpraktiken im katholischen Salzburg vor zweihundert Jahren unterschieden sich also nicht von denen des Islamischen Staats im Irak oder in Syrien heute.
Nehmen wir an dieser Stelle einen Ortswechsel in die Türkei vor, wo Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ spielt. Wir befinden uns auf einem Platz vor dem Palast des Bassa Selim. Der aus Spanien stammende christliche Edelmann Belmonte ist auf der Suche nach seiner entführten Verlobten Constanze und trifft dabei auf den Türken Osmin, der bei Bassa Selim als Aufseher arbeitet. In seinem Auftrittslied „Wer ein Liebchen hat gefunden“ macht Osmin kein Hehl daraus, dass sein Frauenbild exakt dem Klischee des Muselmanen entspricht, der sich seine Frauen dadurch gefügig macht, dass er sie einsperrt: „Doch sie treu sich zu erhalten, schließ er Liebchen sorglich ein.“
Nach diesem Bekenntnis wendet sich Osmin dem unbekannten Belmonte zu, den er zur Begrüßung gleich einmal als „Galgenschwengel“ bezeichnet. Als Belmonte den Namen seines Dieners Pedrillo erwähnt, wünscht Osmin dem einen wie dem anderen den Tod. Die Art und Weise, wie Osmin die beiden ins Jenseits befördern möchte, kommt uns allerdings bekannt vor. Während er nämlich Pedrillo „spießen“ möchte, droht er Belmonte die „Bastonade“ an, also jene Prügelstrafe, die in Salzburg zur Mozartzeit gang und gäbe war.
Im weiteren Verlauf der Handlung entwickelt sich Osmin immer mehr zum Prototyp des orientalischen Barbaren, der von Blondchen, der Bedienten Constanzes, folgerichtig als „Tier“ bezeichnet wird. Osmins Replik „Verbrennen sollte man die Hunde“ verpufft angesichts der Entscheidung Bassa Selims, die Europäer ziehen zu lassen, freilich im Leeren.
Aufschlussreich in diesem Kontext sind die Anmerkungen, die in Georg Nikolaus Nissens Mozart-Biographie aus dem Jahr 1828 zu finden sind: „Osmin ist ganz, was er sein soll, ein grober, niederträchtiger Türke. Sklavensinn und die ihm so nahe verwandte sinnlose Grausamkeit und läppische Brutalität charakterisieren diese orientalische Nichtswürdigkeit in scharfen Umrissen.“
Diese Charakterisierung Osmins entspricht durchaus dem Zeitgeist, wenngleich es in der „Entführung“ am Ende insofern eine unerwartete Wendung gibt, als sich ausgerechnet der Moslem Bassa Selim als großmütig erweist und den beiden christlichen Paaren ihre Freiheit schenkt. Diese wundersame Fügung des Schicksals ändert allerdings nichts an der zentralen Botschaft dieses Singspiels, die da lautet, dass der christliche Okzident dem islamischen Orient moralisch überlegen ist. Nicht zufällig weist Pedrillo gegen Ende der Oper ausdrücklich darauf hin, dass er „einem guten altchristlichen Geschlecht aus Spanien“ entstamme.
Im Zusammenhang mit dem Konflikt Abendland/Morgenland bzw. Christentum/Islam sind zwei weitere Szenen in der „Entführung“ aufschlussreich.
Gleich zu Beginn des 2. Aufzugs kommt es zwischen Blondchen und Osmin zu einem heftigen Streit, bei dem es um die Rolle der Frau im Islam geht und in dessen Verlauf Osmin erklärt: „Hier sind wir in der Türkei, und da geht’s aus einem andern Tone. Ich dein Herr, du meine Sklavin; ich befehle, du musst gehorchen!“
Darauf Blondchen: „Türkei hin, Türkei her! Weib ist Weib, sie sei, wo sie wolle! Sind eure Weiber solche Närrinnen, sich von euch unterjochen zu lassen, desto schlimmer für sie.“
„Beim Allah“, antwortet Osmin, „die wär‘ glatt imstande, uns allen die Weiber rebellisch zu machen!“
Wie es unter diesen Umständen übrigens Don Giovanni geschafft haben will, in der Türkei mit 91 Frauen Sex zu haben, bleibt ein Rätsel. Aber wahrscheinlich ist das Bumsregister, das Leporello für seinen Herrn angelegt hat, ohnehin eine Fälschung.
Der Librettist der „Entführung“., Gottlieb Stephanie, war nur einer von vielen Autoren des 18. Jahrhunderts, die sich mit der orientalischen Frage beschäftigten, und auch Mozart setzte sich bereits viele Jahre vor der „Entführung“ mit dem damals sehr populären „Serail“-Thema auseinander, so zum Beispiel in seinem Singspiel „Zaide“.
In einem Brief an seinen Vater bezeichnete Mozart die Textvorlage Gottlieb Stephanies als „türkisches Sujet“, womit alles gesagt war, denn als fleißiger Theatergeher war Leopold Mozart mit dieser Materie ebenso vertraut wie sein Sohn. In ihrer weltanschaulichen Orientierung unterschieden sich die „türkischen“ Stücke der Mozartzeit nur im Detail voneinander. Im Mittelpunkt stand immer der große Konflikt zwischen Orient und Okzident, bei dem stets der Okzident als Sieger hervorging.
Als weiteres Beispiel für dieses Prinzip sei aus der „Entführung“ jene Szene angeführt, in deren Verlauf Pedrillo seinen Widersacher Osmin von den Vorzügen des Alkohols zu überzeugen versucht. Obwohl Pedrillos vordergründiges Ziel darin besteht, Osmin betrunken zu machen, geht es hier auch um eine grundsätzliche Kritik an den religiösen Vorschriften des Islam.
Pedrillo: „Fröhlichkeit und Wein versüßt die härteste Sklaverei. Wahrhaftig, da hat euer Vater Mahomet einen verzweifelten Bock geschossen, dass er euch den Wein verboten hat.“
Nachdem Osmin zögert und darauf hinweist, dass ihm seine Religion den Genuss von Alkohol verbiete, bedrängt ihn Pedrillo und singt mit ihm das Duett „Vivat Bacchus, Bacchus lebe“. Erst die Musik führt bei Osmin zu einem langsamen Umdenken und nachdem er endlich zur Flasche gegriffen hat, ist er am Ende so betrunken, dass er nur noch müde vor sich hin lallt: „Das ist wahr, Wein, Wein ist ein schönes Getränk; und unser großer Prophet mag mir’s nicht übelnehmen. Gift und Dolch, es ist doch eine hübsche Sache um den Wein!“
Auch in dieser Szene wird deutlich, dass es bei der „Entführung“ letztendlich um die Reproduktion kolonialer Blickverhältnisse geht. Dabei stehen die „Türken“ samt ihrer Sitten und Gebräuche stellvertretend für die zurückgebliebenen und unaufgeklärten Moslems.
Die berühmte Arie des Osmin „Solche hergelaufne Laffen“ wird landläufig als die Rachephantasie eines barbarischen Moslems interpretiert. Zu fragen wäre allerdings, ob in dieser Arie nicht vielmehr die weit über die Mozartzeit hinaus gängige Rechtspraxis im katholischen Fürsterzbistum Salzburg beschrieben wird?
„Erst geköpft, dann gehangen,
dann gespießt auf heiße Stangen,
dann verbrannt, dann gebunden,
und getaucht, zuletzt geschunden!“
Der Standard, ALBUM, 23./24. Jänner 2016
Eine Rede zum Jugoslawienkrieg 1999
Sehr geehrte Damen und Herren,
der österreichische Schriftsteller Adalbert Stifter hat am 11. Juli 1859 folgenden Kommentar zum gegenwärtigen Krieg in Jugoslawien abgegeben:
„Wären Recht und Sitte die höchsten Güter bei allen Völkern der Welt, dann wäre dieser Krieg unmöglich, und der Mensch dürfte sich ohne Erröten das Beiwort vernünftig geben. Jenes Scheusal Krieg aber, wenn es so leichtfertig erhoben werden kann, macht, daß man mit Scham sein Haupt vor der Menschheit, die sich vernünftig nennt, verhüllen möchte. Europa hat mich in letzter Zeit angeekelt und vor allem Deutschland betrübt mich tief. Es gibt nicht eine Stimme in diesem Land, welche mit Entrüstung gegen Lüge und Unrecht spricht.“
Wenn man diesen 140 Jahre alten Text Adalbert Stifters den Meldungen gegenüberstellt, die seit nunmehr 53 Tagen über den Krieg in Jugoslawien verbreitet werden, dann drängt sich auch heute die Frage auf, ob der Mensch überhaupt noch als vernunftbegabtes Wesen bezeichnet werden kann oder ob er jemals in der Lage sein wird, aus der Geschichte zu lernen.
Ich habe vor kurzem die 1897 geborene Architektin und antifaschistische Widerstandskämpferin Margarete Schütte-Lihotzky besucht, und als wir während unserer Unterhaltung auf den Krieg in Jugosalwien zu sprechen kamen, erzählte mir Frau Schütte-Lihotzky, daß es ihr heute so vorkäme, als hätte sie alles, was sich derzeit auf dem Balkan abspielt, bereits einmal erlebt. Die Nachrichten, die sie heute über diesen Konflikt höre, klängen nicht viel anders als die antiserbische Propaganda, die im Sommer 1914 hierzulande verbreitet wurde. Je länger wir über den Krieg in Jugoslawien sprachen, desto genauer erinnerte sie sich wieder an Details aus ihrer Jugend, an die singenden Soldaten, die am 28. Juli 1914, dem Tag der Kriegserklärung Österreich-Ungarns an Serbien, jenes Donauschiff betraten, mit dem sie und ihr Vater gerade in die Ferien fahren wollten, an die antiserbische Hetze in den Zeitungen und an die Politiker, die ein schnelles Ende des Krieges und einen glorreichen Sieg versprachen.
Nach diesem Gespräch mit Frau Schütte-Lihotzky wurde mir klar, was Karl Marx meinte, als er davon sprach, daß sich in der Geschichte alles zweimal wiederhole, und zwar einmal als Tragödie und einmal als Farce. Und in der Tat: Sieht man sich die Schmierenkomödianten an, die in dieser blutigen Farce um Jugoslawien die Hauptrollen spielen, so glaube ich, daß Marx recht hatte.
Erst ab dem Zeitpunkt, ab dem mir klar wurde, daß Leute wie Joschka Fischer, Tony Blair, Madelaine Albright oder Rudolf Scharping nichts anderes als Hauptdarsteller in einem schlecht inszenierten Stück sind, in dem es natürlich auch Statisten wie Viktor Klima oder Wolfgang Schüssel gibt, wurde mir bewußt, daß es an uns, also am Publikum, liegt, diese Leute wieder von der politischen Bühne zu verjagen.
Diese Erkenntnis, so banal sie auch sein mag, ist gerade in einem solchen Krieg, der auch ein Propagandakrieg ist, wichtig, denn eine Strategie der NATO-Kriegstreiber zielt mit Sicherheit darauf ab, aus uns lethargische Fernseh-Idioten zu machen, die diesen Krieg bestenfalls als Video-Unterhaltung konsumieren. Natürlich hofft die NATO auf Zeitgewinn und darauf, daß die Menschen müde und abgestumpft werden, daß sie sagen, gegen diesen Krieg könne man ohnehin nichts machen. Bertolt Brecht hat 1952 in seiner Botschaft an den Weltkongreß für den Frieden in Wien geschrieben, daß der „äußerste Grad der Abgestumpftheit gegenüber der Politik der Tod“ ist und daß man mit allen Mitteln gegen diese Abgestumpftheit ankämpfen müsse.
Daß uns die NATO-Propagandisten schon für sehr dumm und abgestumpft halten, zeigen zahlreiche Meldungen, die die NATO täglich verbreitet, und die vom ORF und von den österreichischen Printmedien ohne kritische Hinterfragung weitergeleitet werden. So konnte man beispielsweise am 22. und 23. April 1999 in einigen österreichischen Zeitungen folgende Notiz lesen: „Die NATO hat bestätigt, daß bei ihren Angriffen auf Jugoslawien auch Geschoße mit einer radioaktiven Ummantelung eingesetzt werden. Ein NATO-Sprecher teilte mit, daß diese Munition aber wegen ihres schwachen Urangehalts für unbeteiligte Zivilisten nicht gesundheitsgefährdend sei.“
Man muß diese Meldung zweimal lesen, um den Zynismus und die absolute Kaltschnäuzigkeit der Kriegspropagandisten in ihrer ganzen Tragweite erfassen zu können: Die NATO behauptet demnach, daß die von ihr freigesetzten radioaktiven Strahlen einen Unterschied machen würden zwischen „unbeteiligten Zivilisten“ und „beteiligten Soldaten“. Es ist übrigens bezeichnend, daß diese Meldung in deutschen Medien zu zahlreichen kritischen Berichten führte, die österreichischen Journalisten dieses Thema aber einfach ignorierten. Nachdenklich sollte im Zusammenhang mit der Verwendung der Uran-Munition die Erkenntnis des amerikanischen Arztes und Umweltphysikers Prof. Doug Rokke stimmen, der in einem Interview im WDR-Magatzin Monitor sagte: „Die Apaches und die A-10 feuern in jeder Minute tausende Uran-Geschosse ab. Jedes Geschoß enthält rund ein halbes Pfund Uran-238. Wir bekämpfen die Serben, damit die vertriebenen Kosovaren zurückkehren können. Aber wie sollen die Kosovaren in diese Gegend zurückkehren können, in eine radioaktive Wüste, wo ihr Land, ihre Städte mit Uran-Geschossen übersät sind?“ In derselben Sendung bestätigte übrigens Joschka Fischer den Einsatz dieser Uran-Munition, erklärte aber gleichzeitig, daß „davon auszugehen sei, daß Gefährdungen der von Ihnen beschriebenen Art für Mensch und Umwelt nicht auftreten.“
Und der deutsche Kriegsminister Scharping sagte ebenfalls in dieser Sendung: „In einem solchen, nennen wir es mal Krieg, in einer solchen Auseinandersetzung, gibt es leider in gewissem Umfang auch Opfer, die man gar nicht beabsichtigt und die man unbedingt vermeiden will.“ Scharping wies übrigens zu Kriegsbeginn einen Journalisten, der das Wort „Bombardement“ in den Mund nahm, mit den Worten zurecht: „Das Wort Bombardement höre ich gar nicht gerne. Bei den NATO-Aktivitäten in Jugoslawien handelt es sich um eine Friedensmission.“
Die sprachliche Säuberungsaktion, die mit Kriegsbeginn in den Medien einsetzte, wäre übrigens einer eingehenden Untersuchung wert. Als vor einigen Wochen eine NATO-Bombe fünfundsiebzig Flüchtlinge zerfetzte, durfte für diese Aktion im ORF ein Militärexperte beispielsweise unwidersprochen den Begriff „Restunschärfe“ verwenden, mit der man in einem solchen Konflikt halt rechnen müsse. Und CIA-Direktor Tenet sagte zum Bombardement der chinesischen Botschaft in Belgrad, hier handle es sich um keinen kriegerischen Akt, sondern um eine „Anomalie“. Und Militärs bezeichnen die zivilen Opfer und Schäden an nicht-militärischen Objekten als „Kollateral-Schäden“, zu deutsch: „benachbarte Schäden“.
Was nun die Berichterstattung des ORF zum Thema Krieg in Jugoslawien betrifft, so finde ich, daß diese ein gigantischer Skandal ist. Der ORF ist im Laufe der letzten 53 Tage mehr oder weniger zu einem verlängerten Arm der NATO-Propagandamaschine verkommen und es ist bezeichnend, daß im NATO-Land Deutschland mehr kritische Berichte über diesen Krieg gesendet werden, als im neutralen Österreich. Für den ORF gilt: Im Zweifelsfall hat immer die NATO recht. Es ist müßig, hier weiter auf Details einzugehen, aber symptomatisch für mich war jene ORF-Teletextmeldung, in der lapidar mitgeteilt wurde, daß im Südosten der Türkei zwanzig kurdische „Freischärler“, wie das im ORF-Jargon heißt, bei einer Militäroperation von Soldaten erschossen wurden. Diese Meldung wurde vor ein paar Wochen genau an jenem Tag verbreitet, an dem auf ORF 2 die intellektuelle Speerspitze der heimischen ORF-Unterhaltung, bestehend aus Claudia Stöckl und Peter Rapp, jedes Arschgesicht vor die Kamera holte, das, vor Schmalz triefend, um Geldspenden für die Kosovo-Flüchtlinge betteln und so nebenbei auch noch ein bißchen Eigenreklame machen durfte. Bei soviel Engagement des ORF für nationale Minderheiten freue ich mich schon auf den Tag, an dem der ORF fünfzehn Stunden lang für die kurdischen Flüchtlinge Geld sammeln wird.
Sehr geehrte Damen und Herren,
nach 53 Kriegstagen hat sich die Spirale des Wahnsinns in Jugoslawien in ungeahnte Höhen geschraubt und noch immer ist kein Ende dieses verbrecherischen Krieges in Sicht. Angesichts dieser deprimierenden Erkenntnis verstehe ich jeden, der verzweifelt und resigniert. Und aus diesem Grunde will und kann ich am Ende meiner Rede weder eine Lösung noch eine Losung anbieten, sondern nur jenen Appell wiederholen, den Brecht 1952 an den Völkerkongreß für den Frieden richtete, und der leider heute noch genauso aktuell ist wie damals:
„Laßt uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Laßt uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Mund sind! Denn der Menschheit drohen Kriege, gegen welche die vergangenen wie armselige Versuche sind, und sie werden kommen ohne jeden Zweifel, wenn denen, die sie in aller Öffentlichkeit vorbereiten, nicht die Hände zerschlagen werden.“
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Rede, gehalten bei einer Antikriegsdemonstration in Wien am 15. Mai 1999
Die Doppelmoral der EU-Außenpolitik
Das Gipfeltreffen der EU mit der Arabischen Liga im ägyptischen Scharm El-Scheich war ein Lehrbeispiel für die Verlogenheit der Außenpolitik der EU. Zwei Tage lang wurden da von EU-Vertretern Politiker hofiert, von denen wahrscheinlich die Hälfte wegen Korruption, Menschenrechtsverletzungen und anderer Verbrechen längst im Gefängnis sitzen müsste. Dass zum Beispiel der ägyptische Präsident General Abdel Fattah al-Sisi, der im Juli 2013 durch einen Militärputsch an die Macht kam und der für die Inhaftierung und den Tod zehntausender Oppositioneller verantwortlich ist, das Treffen leitete, kann nur als demonstratives Zeichen der Wertschätzung dieses Diktators durch die EU gewertet werden.
Natürlich nutzte der Putsch-General diese internationale Anerkennung gleich dazu, der EU einen „Flüchtlingspakt“ anzubieten, um effizienter gegen Migrantinnen und Migranten vorgehen zu können. Wenn Libyen 300 Millionen von der EU bekommt, warum nicht auch Ägypten?
Dass Flüchtlinge in libyschen Internierungslagern versklavt oder vergewaltigt werden, scheint Politiker wie Kurz, Salvini oder Orban solange nicht zu kümmern, solange die libysche Küstenwache ihren Job erledigt. Da spielt es auch keine Rolle, dass mit Fayez Mustafa al-Sarraj ein Mann Regierungschef ist, der zwar nur über 16 % des libyschen Territoriums herrscht, dafür aber den größten Teil der Küste des Landes kontrolliert. Jene Küste, von der nach den Wünschen der EU kein Flüchtling mehr nach Europa übersetzen soll.
Während Bundeskanzler Kurz also offenbar keine Probleme mit Putsch-Generälen und Diktatoren in der arabischen Welt hat, fordert er in Venezuela „rasche, freie und faire Präsidentschaftswahlen“. Um diese durchzusetzen, unterstützt er, wie die meisten seiner AmtskollegInnen in der EU, den selbst ernannten „Präsidenten“ Venezuelas, Juan Guaidó, der als Marionette des Westens den Zugang der USA und der EU zu Venezuelas Bodenschätzen ermöglichen soll. Dass Guaidó der rechtsgerichteten Partei „Volkswille“ angehört, wird stillschweigend akzeptiert.
Angesichts der Tatsache, dass sowohl die USA als auch die EU weltweit autoritäre Regimes massiv unterstützen, wird wohl niemand ernsthaft glauben, dass diesen Ländern ausgerechnet in Venezuela die Einhaltung der Menschenrechte ein besonderes Anliegen wäre.
Der rechtmäßig gewählte Präsident Venezuelas, Nicolás Maduro, hat es auf den Punkt gebracht: „Die internationalen Konzerne schielen auf unser Öl, Gas und Gold. Aber diese Reichtümer gehören nicht ihnen, sie gehören dem venezolanischen Volk.“
Man mag mit Maduros Politik einverstanden sein oder nicht, aber eigentlich wäre es Aufgabe des neutralen Österreich, bei internationalen Konflikten als Vermittler aufzutreten und nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Aber das ist in Zeiten wie diesen wohl nur frommes Wunschdenken.
„Der Standard“, online, 4. März 2019
Karl Marx und der Zwölfstundentag
Im Zuge der Nationalratsdebatte zur Verlängerung der Arbeitszeit hat Sozialministerin Beate Hartinger-Klein von der FPÖ versucht, dieses Gesetz mit einem Zitat von Karl Marx zu verteidigen: „Freiheit ist ein Luxus, den sich nicht jedermann leisten kann“. Und die Ministerin fügte hinzu: „Mit der nun vorliegenden Arbeitszeitregelung ist diese Freiheit für jedermann und jederfrau möglich.“
Dass die FPÖ in ihrer von Demagogie geprägten Politik vor keiner Lüge zurückschreckt, ist allgemein bekannt. So gesehen ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass eine FPÖ-Ministerin ausgerechnet Marx einen Satz in den Mund legt, den dieser nie gesagt oder geschrieben hat. Urheber dieses Zitats ist vielmehr der deutsche Reichskanzler Otto von Bismarck, der von Marxens Weltanschauung ungefähr so weit entfernt ist wie Hartinger-Klein, Strache oder Kickl.
Dass FPÖ-Politiker Marx lesen, kann man nicht erwarten, weil die Lektüre von Marx ein Mindestmaß an intellektuellen Fähigkeiten voraussetzt. Aber gesetzt den Fall, sie würden sich tatsächlich die Mühe machen, Marx zu studieren, dann würden sie z. B. im „Kapital“ dutzende Passagen finden, in denen sich Marx ausführlich mit der Frage der Arbeitszeit beschäftigt.
Im „Kapital“ prangert Marx tägliche Arbeitszeiten von 10 bis 16 Stunden auf das schärfste an, und bezeichnet dieses System als ein „System unbeschränkter Sklaverei in sozialer, physischer, moralischer und intellektueller Beziehung.“ Marx kritisiert, dass eine Arbeitszeit von mehr als acht Stunden täglich den individuellen Arbeiter „in einen Teilmenschen verstümmelt und seine Lebenszeit in Arbeitszeit verwandelt.“
Gleichzeitig schreibt Marx im „Kapital“ aber auch, dass für das Kapital die Länge eines Arbeitstags „von sehr elastischer Natur ist und den größten Spielraum erlaubt. So finden wir Arbeitstage von 8, 10, 12, 14, 16 oder 18 Stunden.“ Im Klartext heißt das, und darüber sollte sich niemand Illusionen machen, dass der Zwölfstundentag nicht das Ende der Angriffe des Kapitals auf die Lohnabhängigen ist, sondern erst der Anfang.
Im Zusammenhang mit dem „Trieb des Kapitals nach Verlängerung des Arbeitstages“ schreibt Marx nicht umsonst vom „Werwolfsheißhunger des Kapitals, dessen einziger Lebenstrieb es ist, Mehrwert zu schaffen und die größtmögliche Masse Mehrarbeit einzusaugen“. Und weiter schreibt er: „Das Kapital ist verstorbne Arbeit, die sich nur vampyrmäßig belebt durch Einsaugung lebendiger Arbeit und um so mehr lebt, je mehr sie davon einsaugt.“
Der erste Band des „Kapitals“ ist 1867 zu einem Zeitpunkt erschienen, als der Kampf der internationalen Arbeiterklasse um den Acht-Stunden-Tag einen ersten Höhepunkt erreicht hatte. In England, in den USA, in Australien und vielen europäischen Ländern gingen Millionen Menschen auf die Straße, um unter der Losung: „Acht Stunden Arbeit – acht Stunden Schlaf – acht Stunden Freizeit und Erholung“, für den Acht-Stunden-Tag zu demonstrieren. Es kam zu gewaltigen Streikaktionen, die mittelfristig auch zu Verbesserungen der Arbeitssituation der Lohnabhängigen führten. In Großbritannien beispielsweise war der Zehn-Stunden-Tag bereits 1848 gesetzlich festgeschrieben worden, was die Kapitalisten allerdings nicht daran hinderte, Kinder illegal bis zu 18 Stunden täglich arbeiten zu lassen.
Ob ein Mensch acht oder zwölf Stunden arbeitet, ist nicht egal. Warum das so ist, ist nachzulesen in der Schrift „Die heilige Familie“ von Karl Marx und Friedrich Engels, und der folgende Satz sei all jenen ins Stammbuch geschrieben, die für das neue Arbeitszeitgesetz in Österreich verantwortlich sind:
„Von der Arbeitszeit hängt es ab, ob die Gesellschaft die Zeit hat, sich menschlich auszubilden.“
Der Standard, 14./15. Juli 2018
Come for a smiley and leave with a smile
300.000 Menschen leben in Katutura, dem größten Township von Namibias Hauptstadt Windhoek. Ein Bericht über die Transformation eines Ortes, an dem eigentlich niemand leben will.
„Meine Familie kam 1959 im Zuge der Zwangsumsiedlungen nach Katutura. Das war das Jahr, in dem ich geboren wurde. Ich erinnere mich, dass es in den sechziger Jahren hier noch Antilopen gab und die Männer Kudus und Springböcke jagten, die dann am offenen Feuer gebraten wurden. Wir hatten damals ja weder Strom noch Fließwasser. Das Wasser holten wir uns vom Fluss, den es auch längst nicht mehr gibt.“
Rosa Namesis sitzt in der Küche ihres Häuschens in Golgotha in Katutura, in dem sie mit ihren elf Geschwistern aufgewachsen ist. Heute leben anstelle ihrer Geschwister zehn Waisenkinder hier. 1999 hat sie das Dolam-Projekt gegründet und seither 195 Kindern ein neues Zuhause gegeben. Rosa Namesis gehört zur Volksgruppe der Damara, in deren Sprache Dolam soviel wie „kleines Lämpchen“ heißt. „Als Kinder haben wir uns in der Nacht an den kleinen Petroleumlämpchen orientiert, die in den Fenstern der Häuser und Hütten gestanden sind.“
Die Buben und Mädchen zwischen sechs und dreizehn Jahren, die mit uns am Tisch sitzen, kennen diese Geschichten bereits, und widmen sich wieder ihren Schulaufgaben. „Ich war damals Parlamentsabgeordnete des Congress of Democrats und war für soziale Angelegenheiten zuständig. Dabei musste ich mitansehen, wie die Institutionen von der Bürokratie geradezu gelähmt wurden. Also habe ich die Initiative ergriffen und das Dolam- Projekt ins Leben gerufen. Und da die Probleme nicht kleiner werden, bauen wir gerade ein neues Haus, in dem bis zu dreißig Kinder Platz finden werden.“
Rosa Namesis ist eine faszinierende Frau, die mit ihren grauen, bis zur Hüfte reichenden Rasta-Zöpfen, dem bunten Hemd und der Schlaghose trotz ihrer sechzig Jahre in jeder Reggae-Band spielen könnte. Es ist also sicher kein Zufall, dass auf der Wand des Waisenhauses ein Zitat von Bob Marley steht: „Emancipate yourself from mental slavery.“ Als kleines Gastgeschenk überreichen wir Rosa Namesis einen Sack Maismehl, das die Kinder zum Brotbacken und zur Zubereitung des namibischen Nationalgerichts Milipap verwenden können. Dieser feste Maisbrei wird entweder mit Fleisch, Gemüse oder nur mit Soße als Beilage serviert.
Justine, die das Treffen im Dolam-Haus organisiert hat, ist von Rosa Namesis genauso begeistert wie wir, und da Justine an der Universität von Windhoek Psychologie studiert, weiß sie jetzt auch, wo sie ihr nächstes Praktikum machen wird. Während wir uns auf den Weg zum „1959 Heroes and Heroines Memorial Grave“ machen, informiert uns Justine über die Geschichte von Katutura. In der Sprache der Herero heißt Katutura „Der Ort, an dem wir nicht leben möchten“. Entstanden ist Katutura 1959, nachdem die Stadtverwaltung von Windhoek und die Südafrikanischen Besatzungsbehörden beschlossen hatten, die Stadt von den Schwarzen und Farbigen zu säubern. Die Zwangsumsiedlungen erfolgten gemäß den Apartheidsgesetzen nach ethnischer Zugehörigkeit, weshalb es immer noch Viertel gibt, in denen hauptsächlich Herero, Oshivambo, Damara oder Nama wohnen. Heute leben in Katutura rund 300.000 Menschen, das sind fast 15 % der Gesamtbevölkerung Namibias.
Daniel, unser Fahrer, ist einer dieser Bewohner, allerdings lebt er nicht in Wanaheda, Goreangab oder Okuryangava, sondern in Havana, einem von mehreren „informal settlements“ in Katutura. Daniel ist Oshivambo und stammt aus dem Norden Namibias. Mit zwei seiner Brüder kam er nach Windhoek, um hier Arbeit zu suchen. Nun leben die drei illegal in einer Wellblechhütte in Havana und müssen jeden Tag damit rechnen, dass die Bagger auch ihre Hütte schleifen. „Das Hauptproblem ist, dass wir kein Fließwasser haben und auch keine Toiletten. Kürzlich ist aufgrund des verschmutzten Wassers wieder einmal eine Hepatitis-Epidemie ausgebrochen.“ Meine Frau und ich hören schweigend zu, während wir an einer öffentlichen Wasserstelle vorbeifahren, vor der sich eine lange Menschenschlange gebildet hat. „Das Wasser, das man hier gegen einen Voucher bekommt, ist sauber“, erklärt Daniel, „allerdings muss man für diesen Voucher zahlen, was sich viele nicht leisten können. Aber die Menschen in Katutura sind erfindungsreich und lassen sich nicht so leicht unterkriegen.“
Ein Blick aus dem Autofenster bestätigt Daniels Worte: Überall werden Geschäfte gemacht. Frauen verkaufen auf dem Gehsteig Gemüse, junge Männer schneiden in einem Zelt die Haare, in einem Container werden Mobiltelefone repariert und in einem windschiefen Bretterverschlag mit der Aufschrift „We cut your meat“ wird auf einem Holztisch Fleisch zerkleinert.
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Justine zeigt auf ein paar aufgereihte Ziegenköpfe und fragt uns, ob wir das Gericht „Smiley“ kennen würden. Nachdem wir verneinen, nennt sie Daniel eine bestimmte Adresse und nach einer viertel Stunde halten wir in Luxury Hill vor dem Township- Restaurant „Otjikaendu Dan“. „Hier gibt es das beste ‚Smiley‘ von ganz Katutura“, behauptet Justine. Die Besitzerin des Restaurants, Melba Tjahere, führt uns gleich einmal in den Hinterhof, wo auf einem riesigen Griller mindestens zwanzig Ziegenköpfe liegen, deren Fell und Haut hier abgebrannt werden. Jetzt wird auch klar, weshalb dieses Gericht „Smiley“ heißt: Durch die Hitze schrumpfen die Lippen der Ziegen und die Tiere sehen tatsächlich so aus, als würden sie lachen. Anschließend werden die Köpfe in einem runden, gusseisernen Kessel, einem sogenannten „Bush Baby“, gekocht. Serviert wird „Smiley“ mit Milipap und trotz des makabren Namens schmeckt das Gericht besser, als man vermuten würde. „Come for a smiley and leave with a smile“, sagt Melba Tjahere lachend, als wir uns von ihr verabschieden.
Bevor wir die Gedenkstätte für die „Märtyrer der namibischen Revolution“ besuchen, machen wir noch einen Abstecher in die Eveline Street, der berühmt-berüchtigten Vergnügungsmeile von Katutura. 63 Bars und Shebeens reihen sich hier aneinander, und auch wenn sie so klingende Namen wie „Mafia Bar“, „Fire Abuse Bar“ oder „Old Trafford Nr. 2“ tragen, verfügen die meisten von ihnen über keine Lizenz. Als ich Daniel frage, ob er schon einmal hier war, schüttelt er den Kopf. „Selbst als Bewohner des Townships verliert man in der Eveline Street nachts schnell einmal seine Geldtasche oder sein Mobiltelefon“, umschreibt er vornehm seine Vorbehalte gegen diese Straße.
Wenig später machen wir halt beim „1959 Heroes and Heroines Memorial Grave“. Hier liegen in einem Massengrab jene Frauen und Männer begraben, die im Dezember 1959 bei den Protesten gegen die Zwangsumsiedlungen ums Leben kamen. Unter ihnen befindet sich auch Rosa Mungunda, die die Proteste angeführt hat.
Am Parkplatz der Gedenkstätte werden wir von einem etwa fünfzigjährigen Schwarzen angesprochen, der sich als Paul vorstellt und uns in perfektem Berlinerisch um eine Spende für eine Ausstellung über die Geschichte der Namibia-Kinder in der DDR bittet. Auf unsere Frage, was es mit diesen Kindern auf sich hat, berichtet Paul, dass er eines von etwa 400 Kindern war, die während des Bürgerkriegs in Namibia aus den Flüchtlingslagern der SWAPO in Angola und Sambia in die DDR gebracht und dort ausgebildet wurden. „Ich habe von 1979 bis zur Unabhängigkeit Namibias 1990 in der DDR gelebt und für mich als Oshivambo war das natürlich ein Kulturschock, aber immerhin habe ich eine solide Ausbildung genossen, auch wenn mir das nach meiner Rückkehr nicht viel genützt hat.“ Heute lebt Paul als Musiker und Autowäscher in Katutura und organisiert regelmäßig Treffen mit anderen „DDR-Kindern“.
Die letzte Station auf unserer Tour durch Katutura ist die Mandume Primary School, die 1959 erbaut wurde und in der heute 840 Kinder von fünf bis dreizehn Jahren unterrichtet werden. Nicht ohne Stolz erzählt der Direktor, Robert Dishena, dass der Unterricht in drei Sprachen erfolgt. Neben Englisch und Afrikaans werden die Kinder auch in der Sprache der Volksgruppe unterrichtet, der sie angehören. „Das ist wichtig für ihre Identität“, erklärt Robert Dishena. „Sämtliche Kinder an unserer Schule kommen aus Katutura und unsere Aufgabe ist es, sie zu selbstbewussten Bürgerinnen und Bürgern zu erziehen, die stolz auf ihre Herkunft sind. Das bedeutet auch, dass wir aus Katutura einen Ort machen, an dem wir gerne leben, auch wenn sein Name eigentlich etwas anderes bedeutet.“
Die Presse, 16./17. Juni 2018
Klopfgeräusche
So kann es nicht mehr weitergehen. Zuviel ist passiert in letzter Zeit. Aber zuvor wird noch reiner Tisch gemacht. Tabula rasa. Jetzt schon wieder. Irgendwo im Haus bohrt jemand ein Loch in eine Wand. Wenn ich mich auf den Boden lege, kann ich es ganz deutlich hören. Das Bohrgeräusch kommt aus einer Wohnung unter mir. Aber es kann nicht die Wohnung direkt unter mir sein, weil die alte Frau ja ausgezogen ist. Na ja, eigentlich ist sie nicht ausgezogen, sondern nach einem Sturz ins Krankenhaus gekommen. Das Problem war, dass diese Frau fast taub war, und deshalb ihren Fernsehapparat immer auf volle Lautstärke gedreht hat. Außerdem hat sie einen Hund gehabt. So einen unglaublich fetten, grauen Dackel, der gestunken hat, dass einem schlecht geworden ist, wenn man ihm im Stiegenhaus begegnet ist. Dass er dann die mit Reißnägeln gespickte Knacker gefressen hat, dafür konnte ich nichts.
Das darf doch nicht wahr sein, da fängt jemand an, seine Wohnung zu renovieren. Letztes Jahr wäre ich fast verrückt geworden, als im Haus eine Wohnung renoviert wurde. Diese Bohrgeräusche, ein Wahnsinn, wie beim Zahnarzt, nur einen Ton tiefer. Oder sind es zwei Töne? Schrecklich.
Gurrt da irgendwo eine Taube? Die Tauben sind ein eigenes Kapitel für sich. Ich hasse diese Tiere. Und wie ich sie hasse. Was ist das? Ist das die Müllabfuhr? Nein, heute kommt ja gar keine Müllabfuhr. Selbstverständlich weiß ich ganz genau, wann die Müllabfuhr kommt. Und natürlich auch, wann die Altpapiercontainer abgeholt werden. Es klingt so, als würde jemand ein Absperrgitter über ein Kopfsteinpflaster schleifen. Ein fürchterliches Geräusch.
Jetzt gurrt wieder so eine verdammte Taube im Lichthof. Im Winter werde ich dieses Granulat ausstreuen, das mir dieser freundliche Herr von der Taubenabwehrfirma verkauft hat. Unter der Hand natürlich. Das Zeug wird mit altem Brot vermischt und innerhalb weniger Stunden krepieren diese verdammten Viecher an Unterkühlung. Das Mittel funktioniert aber nur, wenn es weniger als fünf Grad hat. Muss ich also noch ein paar Monate warten. Hoffentlich werde ich bis dahin nicht aus meiner Wohnung geworfen. Ich soll ja gepfändet werden, weil ich angeblich seit Monaten keine Miete mehr bezahle. Lächerlich. Einmal waren die Gerichtsvollzieher bereits bei mir. Da habe ich ihnen als Zuckerl eine alte elektrische Kaffeemühle überlassen, die ich um drei Euro auf einem Flohmarkt gekauft habe. Die Mühle hat gar nicht mehr funktioniert, aber das wussten diese Idioten natürlich nicht. Gekommen sind sie wegen dieser Rechnung für die Fliesen im Bad. Der Fliesenleger hat mich geklagt, weil ich seine Arbeit nicht bezahlt habe. Dabei war das gar nicht meine Schuld. Schuld war dieses Geräusch, das so klang, als wäre ein Abfluss verstopft. Oder als würde im Boden irgendein furzendes Ungeheuer hausen. Das war nicht zum Aushalten. Ich bin fast durchgedreht. Stundenlang bin ich auf dem Fliesenboden gelegen und habe gehorcht. Mein Ohr hat schon total weh getan. Es war schlimm. Irgendwann habe ich Angst bekommen. Nein, also nicht direkt Angst. Sagen wir so: Ich bin wütend geworden und habe mir den größten Hammer aus meinem Werkzeugkoffer geholt. Damit habe ich an der Stelle, wo ich das furzende Ungeheuer vermutet habe, die Fliesen zertrümmert. Ich musste ja schauen, was da los ist. Offenbar habe ich aber in meiner Wut so fest zugeschlagen, dass nicht nur die Fliesen zerbrochen sind, sondern auch das Abflussrohr. Das Dumme war, dass dann das Wasser durch die Decke in die Wohnung unter mir gesickert ist und es einen ziemlichen Ärger mit der Hausverwaltung gab. Alle waren plötzlich gegen mich. Die alte Frau, die ohnehin nichts gehört hat, und die Hausverwaltung, die mir seit drei Monaten mit der Zwangsräumung droht, weil ich angeblich mit der Miete im Rückstand bin. Dabei war das mit dem Wasserrohrbruch –. Was ist das? Jetzt knarren wieder diese Sesselleisten. Vielleicht wegen der Hitze. Ich habe mir da extra einen Silikonfugendichter gekauft, den ich oben bei den Leisten hineinschmiere, damit das Geräusch aufhört. Muss ich morgen gleich wieder nachdichten.
Dass das mit der Extrawurstsemmelverkäuferin nicht geklappt hat, ärgert mich immer noch. Bianca hat sie geheißen. Andererseits hätte sie ohnehin nicht zu mir gepasst, weil sie viel zu verklemmt war. Ein einziges Mal ist sie bei mir gewesen und da habe ich ihr dieses Gedicht vorgelesen, das ich für sie geschrieben habe. Daraufhin ist sie aufgestanden und gegangen. Oder sagen wir so: Sie wollte gehen, aber ich habe sie zurückhalten und an den Oberarmen gepackt. Sie hat zu schreien begonnen, da habe ich dann ein bisschen fester zugedrückt. Ich wollte ja nicht, dass irgendjemand im Haus etwas hört. Okay, einen kleinen Schubser habe ich ihr auch gegeben, aber passiert ist ihr nichts. Die Ohrfeige hat sie schließlich zur Besinnung gebracht. Dabei war das Gedicht sehr gut. Als einer, der in der Werbebranche tätig ist, kann ich das beurteilen. Da muss man ja auch literarisch versiert sein. Der Extrawurstsemmelverkäuferin hat das Gedicht aus unerfindlichen Gründen aber nicht gefallen. Sie hat nur den Kopf geschüttelt und ist aufgestanden. Na ja, eigentlich hat sie sich gar nicht hingesetzt gehabt. Sie ist in der Tür stehen geblieben und hat so komisch geschaut. Dann hat sie gefragt, weshalb ich soviele Schachteln im Zimmer habe. Blöde Frage. Ich habe nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass ich da alles aufbewahre, was mir wichtig ist.
Moment, was raschelt da? Da raschelt doch etwas hinter einem der Kartons. Um Gottes willen, wenn das Mäuse sind, drehe ich durch. Vor Jahren habe ich einmal Mäuse in der Wohnung gehabt. Ich habe sofort bei der Hausverwaltung angerufen und mich darüber beschwert. Die Frau am Telefon hat aber nur gesagt, dass sie das zum ersten Mal hört, dass sie aber jemanden vorbeischicken wird. Ich habe das natürlich abgelehnt. In meine Wohnung kommt mir niemand von der Hausverwaltung. Auch sonst lasse ich niemanden herein. Außer eben Frauen wie Bianca. Ich habe mir dann ein paar Mausefallen gekauft, mit denen ich aber nur Wollmäuse gefangen habe. Riesige Wollmäuse. Im Laufe der Woche habe ich dann tatsächlich sechs echte Mäuse gefangen. Dann war Schluss. Wie die in meine Wohnung gekommen sind, weiß ich nicht. Mir ist das bis heute ein Rätsel.
Da, jetzt raschelt es wieder. Das darf doch nicht wahr sein. Ich muss ruhig bleiben, sonst bekomme ich noch einen Herzinfarkt. Oder kommt das Geräusch von wo anders? Womöglich haben sich im Fußboden irgendwelche Tiere eingenistet. Wie damals im Badezimmer. Obwohl ich da gar keine Tiere gefunden habe. Wenn ich in der Zwischendecke Tiere hätte, müsste ich sofort den Fußboden herausreißen und Nachschau halten. Ich werde mich auf den Fußboden legen und horchen. Allerdings muss ich aufpassen, dass ich nicht wieder eine Ohrenentzündung bekomme. Die HNO-Ärztin hat gemeint, dass da ein ganz komischer Dreck drinnen ist. Dann hat es zu allem Überfluss auch noch zu rauschen begonnen. Das war der absolute Wahnsinn. Ich wusste nicht mehr, ob es draußen rauscht oder ob ich meine eigene Blutzirkulation höre. Zum Glück hat mich die HNO-Ärztin auch ohne E-Card behandelt. Ich habe ja keine E-Card bekommen, weil diese Idioten von der Versicherung gemeint haben, ich hätte keinen richtigen Beruf. Dabei bin ich nachweislich in der Public-Relations-Branche tätig. Ich habe ihnen sogar meine Bestätigung von diesem Communications College in Hamburg gezeigt, bei dem ich einen Fernkurs belegt habe. Dafür habe ich siebenhundert Euro bezahlt. Aber der Trampel bei der Sozialversicherung hat nur den Kopf geschüttelt und gemeint, dass das kein Nachweis für die Ausübung eines Berufs sei. Wie gut, dass man in Wien nicht an jeder Straßenecke eine Schusswaffe kaufen kann, sonst wäre ich längst zum Massenmörder geworden. Bianca hätte ich aber nicht erschossen. Bei der hat es genügt, dass ich ihr eine runtergehauen habe. Es war keine feste Watsche, eher eine leichte. Glaube ich zumindest. Aber warum musste sie auch so ein Theater machen? Wo Bianca jetzt ist, würde mich schon interessieren.
Ich hoffe nur, dass die Wohnung über mir nicht gleich wieder vermietet wird. Wahrscheinlich wird das aber noch eine Zeitlang dauern, weil ja gar nicht klar ist, ob diese Japanerin nur vorübergehend weggefahren ist. Jedenfalls war das die Hölle. Da gibt es weltweit Millionen leere Wohnungen und dann muss diese Yumiko Kobayashi ausgerechnet in die Wohnung über mir einziehen. Kann mir das jemand erklären? Anfangs habe ich mir noch nicht viel dabei gedacht, obwohl mir gleich Übles schwante, wie ich den ersten Geigenton gehört habe. Viele Japanerinnen fahren ja nach Wien, um hier ein Instrument zu lernen. Weiß der Kuckuck, warum. Japan hat 127.264.438 Einwohner, aber scheinbar keine Geigenlehrer. Diese Yumiko Kobayashi hat also jeden Tag Geige gespielt. Nein, falsch. Sie hat Geige geübt. Und zwar tagelang das gleiche Stück. Das treibt einen natürlich in den Wahnsinn. Ich habe mich auf die Leiter gestellt und das Geigengekratze zum Beweis sogar aufgenommen. Ich habe da so ein altes Aufnahmegerät, mit dem ich jedes Geräusche aufnehme. Man kann ja nie wissen. Das Gurgeln im Boden des Badezimmers, das Gekläff der Hunde, das Geschrei der Frauen beim Orgasmus oder wenn sie geschlagen werden, das Gequietsche der Straßenbahn, das Scheppern der Gastherme, das Gurren der Tauben, das Bohren in irgendwelchen Wohnungen, alles nehme ich auf. Oft hört man die Geräusche leider nicht mehr richtig, weil es auf dem Band ein Grundrauschen gibt. Das irritiert mich natürlich, weil ich nicht weiß, ob es auf der Welt am Ende nicht generell ein Grundrauschen gibt. Ich habe einmal gelesen, dass es Stille in dem Sinn eigentlich gar nicht gibt. Im Universum soll es auch sehr laut sein. Allerdings können wir das nicht hören, weil das andere Frequenzen sind. Wie bei den Elefanten. Die verständigen sich auch, ohne dass wir das mitbekommen. Selbst Taube hören ihr eigenes Blut zirkulieren. Tauben wahrscheinlich auch. Ein Horror, wenn ich mir vorstelle, dass ich Tag und Nacht nichts anderes höre, als das Zirkulieren meines eigenen Blutes. Interessant wäre zu wissen, ob ein hoher Blutdruck anders klingt als ein niedriger. Wahrscheinlich schon. Der niedrige Blutdruck klingt sicher dumpfer.
Yumiko heißt auf Deutsch übrigens „schönes Kind“. Den Namen muss diese Yumiko aber zu einem Zeitpunkt bekommen haben, als man noch nicht wissen konnte, wie sie später einmal aussehen wird. Ich habe das Gekratze der Japanerin jedenfalls drei- oder viermal aufgenommen. Da ich wissen wollte, was das für ein Stück ist, bin ich mit meinem Aufnahmegerät in einen CD-Laden gegangen und habe es einer Verkäuferin vorgespielt. In den großen CD-Geschäften kann man aber niemanden mehr fragen. Da stehen ja nur noch Fleischhacker- oder Konditorlehrlinge hinter der Budel, die von Musik keine Ahnung haben. Zum Glück war zufällig ein Kunde anwesend, der gleich gewusst hat, was das für ein Stück ist. Das Gekratze war demnach Teil der „Instruktiven Übungsstücke für Violine in verschiedenen Lagen und Sticharten“, Opus 31, eines gewissen Carl Henning. Ich habe diesen Namen noch nie gehört, habe ihn mir aber gleich notiert. Das muss man sich einmal vorstellen: Da fliegt diese Yumiko Kobayashi 9.132 Kilometer von Tokio nach Wien, um mich mit Übungsstücken eines Herrn Henning zu quälen. Und dann unterzeichnen sie ausgerechnet in Japan das Kyoto-Protokoll über den Klimaschutz. Diese Idioten sollen mit dem Klimaschutz einmal im eigenen Land anfangen und allen Japanerinnen verbieten, in Wien ein Musikinstrument zu lernen. Was glauben die eigentlich? Dass hier die Geigen auf den Bäumen wachsen? Oder dass an jeder Straßenecke die Anna Netrebko singt? In Wirklichkeit scheißen die Hunde auf die Straße und die Besoffenen schiffen ungeniert an die Hausmauern. Aber das ist diesen Yumikos und Sakuras, oder wie sie sonst noch alle heißen, vollkommen egal. Die sind glücklich, wenn sie in Wien „Instruktive Übungsstücke für Violine in verschiedenen Lagen und Sticharten“, Opus 31, von Carl Henning spielen können.
Jetzt bellt wieder dieser verdammte Köter im Nachbarhof. Aber ich schwöre, dieser Hund lebt nicht mehr lange. Ich habe mir da schon etwas ausgedacht. Jetzt wird reiner Tisch gemacht. Der Herr von der Taubenabwehrfirma hat mir nämlich auch wegen des Hundes einen guten Tipp gegeben. Das Problem mit dieser Yumiko war ja nicht nur das Geigenspiel, sondern auch dieses unerträglich laute Getrampel in ihrer Wohnung. Anfangs wusste ich gar nicht, was da los war. Erst am dritten oder vierten Tag ist mir klar geworden, dass diese Wahnsinnige Holzschlapfen trägt. Kaum ist sie nach Hause gekommen, ist sie schon in ihre Holzschlapfen geschlüpft, und keine fünf Minuten später ist die Geigerei losgegangen. Natürlich habe ich jedes Mal sofort an die Decke geklopft, aber das war ihr vollkommen egal. Wahrscheinlich hat sie gedacht, dass das normal ist, dass jemand klopft. Ich habe ja keine Ahnung, wie die Japaner wohnen, aber soviel ich weiß, sind dort die Wohnungen so gebaut, dass praktisch jeder jeden hören kann. Ich glaube, dass das mit den Erdbeben zusammenhängt. Deshalb sind die Wände in Japan auch so dünn. Etwas in diese Richtung. Sobald sie also den ersten Schritt in der Wohnung gemacht hat, habe ich mit dem Besenstiel gegen den Plafond geklopft, wodurch sich im Laufe der Zeit natürlich Dellen gebildet haben. Einen Zusatzbesen hatte ich auch immer griffbereit neben dem Bett liegen. Da habe ich mir so eine Verlängerung gebaut, damit ich nicht extra aufstehen muss und die Zimmerdecke auch im Liegen erreiche. Das Blöde war nur, dass irgendwann einmal der Putz zu rieseln begonnen hat und das ganze Zeug auf meinem Kopf gelandet ist. Nach drei Wochen hat es mir dann gereicht und ich habe ihr einen Zettel an die Tür gehängt. Aber leider zeigte sie keine Spur von Einsicht. Also habe ich sie eines Tages im Stiegenhaus abgefangen. Dass sie dann die Treppe hinuntergestürzt ist, dafür konnte ich nichts. Es war wie bei der alten Frau. Jetzt herrscht Ruhe in den Wohnungen über und unter mir.
Der Standard (ALBUM), 25./26. März 2017
Jetzt raucht’s
Wir stehen am Straßenrand im Schatten einer Palme und warten auf eine Mitfahrgelegenheit. Der Asphalt dampft, es hat über dreißig Grad und die Luftfeuchtigkeit beträgt gefühlte neunzig Prozent. Die schwarzen Wolken, die für den kurzen, aber heftigen, Regen verantwortlich waren, sind Richtung Krakatau abgezogen. Ein schmächtiger Becak-Fahrer hält an und möchte uns mit seinem bunt geschmückten Fahrradtaxi unbedingt zum Markt nach Carita chauffieren. Wir lehnen dankend ab, weil wir uns nicht vorstellen können, dass der Mann die sieben Kilometer lange Strecke mit uns als Fracht überhaupt schafft.
Wenig später stoppt ein Sammeltaxi. Es trägt den flotten Namen „Wolf on Street“ und wäre bei uns längst auf dem Autofriedhof gelandet. Dort, wo einmal eine Schiebetür war, ist jetzt ein Loch, und in der Fahrerkabine ragt anstelle eines Ganghebels eine Eisenstange aus dem rostigen Boden. Trotzdem zwängen wir uns in den bereits voll besetzten Laderaum des winzigen Isuzu, wo wir zwischen einem Hühnerkäfig und einer Bananenstaude Platz finden. Für zwei Personen zahle ich 10.000 Indonesische Rupiah (ca. 70 Cent). Der Fahrer steckt den Schein in ein vollgestopftes Plastiksackerl, das an einem losen Draht aus dem Armaturenbrett heraushängt. Angst, dass ihm jemand sein Geld stehlen könnte, scheint er nicht zu haben. Der Fahrer, er heißt Manik, lacht über das ganze Gesicht und freut sich, dass in seine Klapperkiste endlich einmal auch Touristen eingestiegen sind.
Die Straße ist eng und unübersichtlich, aber Manik kennt sich hier aus und weicht den Schlaglöchern ebenso geschickt aus wie den entgegenkommenden Becak- und Motorradfahrern. Einmal werden wir von einem Moped überholt, auf dem eine vierköpfige Familie eine lebende Ziege transportiert.
Uns gegenüber sitzen drei Buben in Schuluniform, von denen jeder eine Taube in der Hand hält. Die Schüler starren uns an und nachdem sie ein paar Worte in ihrem sundanesischen Dialekt gewechselt haben, rafft sich der Ältere von ihnen auf, und sagt: „Hello Mister.“ Obwohl meine Frau einen Schal als Kopfbedeckung trägt, wird sie von ihm demonstrativ ignoriert. Die Erwachsenen nicken anerkennend und lachen. Da es in der Gegend um Sambolo kaum Touristen gibt, sind dieses Mal wir die Exoten, die entsprechend bestaunt werden. Ich deute auf die Tauben und führe eine Hand zum Mund, aber die Schüler geben mir durch energisches Kopfschütteln zu verstehen, dass die Tauben nicht gegessen werden. Was sie mit den Tauben vorhaben, finde ich nicht heraus.
Als wir aussteigen, strömt uns sofort der süßlich-faulige Geruch der Durian-Frucht entgegen, der – vornehm ausgedrückt – an einen reifen französischen Käse erinnert. Oder an ungewaschene Socken. Kein Wunder, dass der Verzehr der Durian-Frucht in vielen Hotels und öffentlichen Gebäuden verboten ist. Für unsere Nasen ist es ein extrem unangenehmer Geruch, aber für die Menschen hier ist die Durian-Frucht die Königin aller Früchte. Angeblich schmeckt sie wie der Himmel, auch wenn sie wie die Hölle stinkt. Aber wir sind standhaft und kaufen stattdessen ein Kilo Litschi, für das wir umgerechnet einen Euro bezahlen.
Auf dem Pasar Carita gibt es alles, was man zum täglichen Leben braucht: Obst, Gemüse, Fisch, Hühner, Kleidung, Werkzeug, Kohle und natürlich Bensin. In den warungs, einer Mischung aus Imbissstand und Gemischtwarenladen, wird das Bensin in Limonadenflaschen oder auf Wunsch auch in Plastiksackerln abgefüllt. Die Fischer, deren Boote in der Lagune von Carita liegen, machen von diesem Angebot ebenso reichlich Gebrauch wie die zahllosen Moped- und Motorradfahrer.
Um Punkt zwölf ruft der Muezzin der nahegelegenen Moschee zum Mittagsgebet, er tut das auf Arabisch. Nur, wenn vor einem Tsunami gewarnt wird, erfolgen die Verlautbarungen der Muezzine im sundanesischen Dialekt, der in der Provinz Banten in West-Java gesprochen wird. Da es auf Java in jedem Ort, in dem mehr als vierzig erwachsene Männer leben, eine Moschee gibt, funktioniert das Tsunamiwarnsystem jetzt besser als im Dezember 2004.
Auf Java wird – im Gegensatz zu Sumatra – eine gemäßigte Form des Islam praktiziert. Nur wenige Frauen sind hier in einen Tschador oder einen Niqab gehüllt und viele tragen nicht einmal ein Kopftuch. Und auch wenn in der Provinz Banten ein striktes Alkoholverbot herrscht, bekommt man unter der Hand sehr wohl Bier und Wein. Dafür muss man allerdings tief in die Tasche greifen. Eine Flasche Bintang-Bier kostet drei Euro und für eine Flasche Wein muss man zwischen dreißig und fünfzig Euro bezahlen. Der gepanschte Alkohol ist zwar billiger, dafür aber auch lebensgefährlicher. Skurril mutet es da an, dass in einigen Supermärkten alkoholfreier Bintang-Radler verkauft wird.
Wir spazieren die Verkaufsstände entlang, zwischen denen Rauchwolken aufsteigen, die von verbrannten Abfällen stammen. Der restliche Müll wird im Straßengraben, im Dschungel oder im nächstgelegenen Fluss entsorgt. Aber so verdreckt kann ein Rinnsal gar nicht sein, dass nicht ein paar Buben mit ihren selbst gebastelten Angeln ihr Glück versuchen würden. Falls es in diesen Gewässern tatsächlich Fische geben sollte, müssen es besonders widerstandsfähige Exemplare sein.
Eine Händlerin bietet zum Glück frische Meeresfische an. Sie werden über dem offenen Feuer gebraten und schmecken hervorragend. Neben dem obligaten nasi goreng, dem gebratenen Reis, werden dazu Gemüse und eine Kokosnuss serviert. Das Ganze kostet fünf Euro – für zwei Personen. Unter dem Tisch wartet bereits eine abgemagerte Katze auf die Essensreste, allerdings sind die Hühner schneller und die Katze hat das Nachsehen.
Nach dem mittäglichen Dsuhr-Gebet treffen wir Juhadi, der uns seit unserer Ankunft in Sambolo nicht nur mit Bintang-Bier, sondern auch mit guten Tipps versorgt. Juhadi hat ein Boot für die Überfahrt zur Vulkaninsel Anak Krakatau organisiert. Am Strand treffen wir Hamsün und Jalal, die bereit wären, uns am nächsten Tag mit dem Motorboot für drei Millionen Indonesische Rupiah zu der Insel zu bringen. Das sind zwar 210 Euro, aber da die Wettervorhersage gut ist und wir unbedingt den Anak Krakatau besuchen wollen, stimmen wir zu.
Am nächsten Morgen herrscht ein ziemlich hoher Wellengang, aber wir tun so, als würde uns das nichts ausmachen. Dass die beiden 40-PS-Motoren während der Überfahrt mehrmals abgeschaltet werden müssen, weil sich Plastikmüll in den Schiffsschrauben verfangen hat, ist nur für uns beunruhigend. Für Hamsün und Jalal ist das reine Routine. Zwei Stunden lang werden wir ordentlich durchgeschüttelt, aber sobald wir unser Ziel erreicht haben, sind alle Unannehmlichkeiten vergessen.
Auf der Insel Anak Krakatau sind wir an diesem Vormittag die einzigen Besucher, was vielleicht auch daran liegen mag, dass der Vulkan immer noch aktiv ist. Tatsächlich sehen wir aus seinem Krater Schwefeldämpfe aufsteigen. Die Insel Anak Krakatau besteht aus schwarzem Lavagestein, nur ab und zu findet man gelbe Schwefelbrocken. Trotz der kargen Vegetation gibt es hier neben Schlangen und Echsen auch Warane, von denen uns zwei stattliche Exemplare über den Weg laufen.
Als der Krakatau am 27. August 1883 ausbrach, bedeutete das gleichzeitig die Zerstörung des alten Vulkans. Die gigantische Eruption hatte eine vierzig Meter hohe Tsunamiwelle zur Folge, die 165 Dörfer und Städte zerstörte und mehr als 36.000 Menschen in den Tod riss. 1927 erfolgte dann die „Wiedergeburt“ des Krakatau: Nach einer Serie heftiger Eruptionen tauchte Anak Krakatau, „das Kind des Krakatau“, aus dem Meer auf.
Der Anblick des Kraters von Anak Krakatau mit den austretenden Schwefeldämpfen ist imposant, aber auch ziemlich furchteinflößend. Eine Stunde später sitzen wir wieder im Boot und sind froh, als uns Hamsün und Jalal sicher am Strand von Sambolo absetzen. Wir laden die beiden und Juhadi auf einen Bintang-Radler ein, und stoßen auf den Anak Krakatau an, dessen Silhouette weit draußen am Horizont schemenhaft zu erkennen ist.
Der Standard (RONDO), 27. Jänner 2017