A wie Alpenstüberl: Ende der siebziger Jahre erfreute sich das „Alpino“ in der Alpenstraße nicht nur bei schweren Trinkern, sondern auch bei gewissen Studenten großer Beliebtheit. In dieser klassischen „Bumsen“ konnte man fernsehen – sofern die Rauchschwaden das überhaupt zuließen –, einen Schinken-Käse-Toast essen oder Karten spielen. Und man bekam den Wein in der Doppelliterflasche auch „über die Gasse“, was sich für diverse Studenten-WGs in der Nähe als wahrer Segen erwies.
B wie Brecht, Bertolt: Erhielt am 12. April 1950 von der Salzburger Landesregierung die österreichische Staatsbürgerschaft und blieb – trotz zahlreicher Mahnungen – die Gebühren für die Ausstellung des Passes bis zu seinem Tod schuldig. Nach einem Salzburg-Besuch im Oktober 1948 notierte Brecht in sein Arbeitsjournal: „die stadt wirkt ausgepowert, erschöpft.“
C wie Colloredo: Hieronymus Franz de Paula Graf Colloredo war von 1772 bis 1803 Fürsterzbischof von Salzburg und Mozarts erbittertster Gegenspieler. Aus Protest gegen die Säkularisierung Salzburgs ging Colloredo ins Exil nach Wien, wo er 1812 starb und auch begraben wurde. Der Ex-Landeshauptmann von Salzburg, Franz Schausberger, ließ es sich aber nicht nehmen, die Überreste seines geliebten Vorgängers nach Salzburg zurückzuholen und in der Bischofsgruft im Dom beisetzen zu lassen. Wie schrieb Mozart so treffend über Colloredo: „Der Erzbischof ist ein Hundsfut, ich hasse ihn bis zur Raserei.“
D wie Duchesse von Arschbörmerl: Jedesmal, wenn ich im Fernsehen den Festspiel-Aufmarsch der Operierten und Degenerierten sehe, muss ich an Mozart denken, der über eine ähnliche Ansammlung einmal schrieb: „Es war eine Menge Noblesse da, die Duchesse Arschbömerl, die Gräfin Brunzgern, und dann die Fürstin Riechzumtreck, mit ihren 2 Töchtern, die aber schon an die 2 Prinzen Mußbauch vom Sauschwanz verheiratet sind.“
E wie Elisabethstraße 11: Das wahre Zentrum Salzburgs war für mich das KPÖ-Volksheim in der Elisabethstraße 11. Ich habe während meiner sechs Studienjahre in Salzburg mehr Zeit in diesem Haus verbracht, als an der Uni und ich finde es großartig, dass sich an diesem Haus in den letzten 35 Jahren praktisch nichts verändert hat. Vor ein paar Jahren habe ich es einmal gewagt, die Tür zum früheren Büro des Kommunistischen Studentenverbands zu öffnen, und dort stand tatsächlich noch die Schreibmaschine, auf der ich im Sommer 1981 mein letztes Flugblatt getippt habe. Von den legendären KSV-Festen möchte ich hier gar nicht reden, weil ich sonst vor lauter Rührung gleich zu weinen beginnen müsste.
F wie Freilassing: In den späten siebziger Jahren war Freilassing ein beliebtes Ausflugsziel, weil dort gewisse alkoholische Getränke billiger waren als in Salzburg. Ich erinnere mich an Besuche in einem Wirtshaus namens „Schmuggler“, wo wir den Retsina der Einfachheit halber gleich aus der Doppelliterflasche tranken. Weniger angenehm waren die Freilassing-Ausflüge mit meinen Eltern, weil ich denen immer beim Schmuggeln von Schlagobers behilflich sein musste. Was sie mit dem vielen Schlagobers gemacht haben, weiß ich bis heute nicht. Gegessen können sie sie nicht haben, weil sie das nicht überlebt hätten.
G wie Gaisberg: Mein letzter Besuch auf dem Gaisberg datiert vom 9. Juli 1981. An diesem Tag fand am Vormittag in der Aula der Universität meine Promotion zum Dr. phil. statt. Neben mir stand der heutige Salzburger Bürgermeister Heinz Schaden und ich erinnere mich, dass mir wegen der Sauferei vom Vorabend so schlecht war, dass ich den Schaden fast angespieben hätte. Gespieben habe ich dann aber erst am Nachmittag, nachdem ich mit meiner Familie auf dem Gaisberg in einem Ausflugslokal ein Schnitzel gegessen hatte. Beim Speiben im Freien hatte ich einen wunderschönen Blick auf Salzburg.
H wie Haslauer: Der frühere Landeshauptmann Wilfried Haslauer hielt für die Bevölkerung der fernliegenden Gaue regelmäßig Sprechstunden ab, die bereits um fünf Uhr früh begannen. Bei einer dieser Gelegenheiten bekam der verkaterte Haslauer auch Besuch von einem alten Bergbauern, dessen Schicksal ihn zu Tränen rührte. Da Haslauer Politiker war, wollte er diese Rührung natürlich nicht für sich behalten, sondern einer breiten Öffentlichkeit mitteilen. Also gab sein Büro eine Broschüre in Auftrag, in der der Landeshauptmann mit folgenden Worten zitiert wurde: „Einmal war ich sehr betroffen, als ein Bergbauer etc.“ Den Angestellten der Druckerei war dieser Haslauer-Text allerdings zu trocken, weshalb sie sich zu einer minimalen Korrektur entschlossen. In der Broschüre, die flächendeckend im ganzen Land verteilt wurde, war dann zu lesen: „Einmal war ich sehr besoffen, als ein Bergbauer etc. etc.“
Die Reaktionen auf dieses Bekenntnis fielen naturgemäß unterschiedlich aus: Während die einen von der Offenheit Haslauers begeistert waren, tobten dessen Sekretäre und verlangten von der Druckerei eine Entschuldigung. Diese kam der Aufforderung nach, was an Haslauers innigem Verhältnis zum Alkohol aber auch nicht viel änderte. Die Moral von der Geschichte: Der Weg von der Betroffenheit zur Besoffenheit ist oft kürzer als man denkt.
I wie Immer wieder Österreich: Als diese Hymne der österreichischen Fußballfans am 30. April 1977 im Lehener Stadion erklang, wurde ich mit 18.000 anderen Zuschauern Zeuge eines denkwürdigen 9 : 0-Siegs der Österreicher über Malta, zu dem Hans Krankl nicht weniger als sechs (!) Tore beisteuerte. Ja, ja, das waren noch Zeiten!
J wie Julliard-Quartett: 1954 wurde der Komponist Gottfried von Einem Präsident des Kunstrates der Salzburger Festspiele. In dieser Funktion kam es zwischen ihm und Landeshauptmann Josef Klaus ein Jahr später zu einer Auseinandersetzung, in deren Verlauf sich der Landeshauptmann vehement „gegen die Verjudung der Festspiele“ aussprach. Der Grund: Gottfried von Einem hatte das Juilliard-Quartett nach Salzburg eingeladen, woraufhin sich Josef Klaus darüber beklagte, dass die Einladung nur erfolgt sei, weil die vier Herren Juden wären. Gottfried von Einem antwortete darauf, dass es sich beim Juilliard-Quartett um eines der besten Quartette der Welt handle. Darauf Josef Klaus: „Trotzdem, die Verjudung der Festspiele, die gibtʻs bei mir nicht.“
K wie Karajan, Herbert von: Meine einzige Begegnung mit Karajan fand am 24. Juli 1988 auf der Hinterbühne des Festspielhauses statt. Angesichts der gespenstischen Szenerie hatte ich allerdings das Gefühl, nicht bei einer Opernaufführung, sondern bei den Dreharbeiten zu „Night of the Living Dead“ anwesend zu sein. Karajan war umringt von einer Menschenschar und während die Maskenbildnerinnen sein Gesicht anmalten und ihn frisierten, zog ihm die Garderobiere schwarz gefärbte Tennisschuhe an, weil er keine Lederschuhe mehr tragen konnte. Dann gab ihm der Arzt eine Spritze, woraufhin sich Karajan unter dem tosenden Applaus der Reichen und Schönen zu seinem Dirigentenpult schleppte und mit den Armen herumfuchtelte. Schon damals dachte ich mir, dass sich die Salzburger diesen Dirigenten redlich verdient haben.
L wie Landeshymne: Die Salzburger Landeshymne wurde 1928 von einem Pfarrer namens Anton Pichler verfasst. Sie beginnt mit den Worten „Land uns‘rer Väter …“ Was aus den Müttern wurde, verschweigt der Herr Pfarrer diskret, dafür geht es nach einem Abstecher in den „ew‘gen Schnee“ und die „dunkelnden Wälder“ diretissima in die Welt der Arbeiter und Bauern:
„Ob an der Esse die Hämmer sich regen oder am Pfluge die nervige Hand,
Land unsrer Väter, dir jauchzt es entgegen: Salzburg, o Salzburg, du Heimatland!“
Weniger martialisch, dafür umso gespenstischer wird es in der zweiten Strophe, wenn Mozart als lebender Toter durch Salzburg schleicht:
„Und wenn die Glocken den Reigen beginnen rings von den Türmen vergangener Zeit,
schreitet durch einsamer Straßen-Sinnen Mozart und seine Unsterblichkeit.“
Was „einsame Straßen-Sinnen“ sind, weiß ich nicht, aber ich muss ja nicht alles wissen.
M wie Marx-Reichlich-Straße 1/1/1: In diese Wohnung bin ich am 20. Mai 1977 gezogen, weil ich gehofft hatte, dass in dieser Straße reichlich Marxisten leben würden. Dass dem nicht so war, merkte ich spätestens, als immer wieder Uniformierte an unsere Tür klopften und uns aufforderten, beim Absingen der „Internationale“ gefälligst die Fenster zu schließen.
N wie Nazis raus aus Salzburg: Landespolizeidirektion Salzburg, Beschuldigten-Ladungsbescheid wegen Störung der Ordnung an einem öffentlichen Ort:
„Es wird als erwiesen angenommen, daß sich am 21. Mai 1977 in der Zeit zwischen 11 Uhr und 11 Uhr 30 eine aus ca. 80 Personen bestehende Gruppe vor dem Hauptgebäude der Salzburger Sparkasse am Alten Markt und später in der Churfürststraße versammelte. Unter dieser Personengruppe befand sich auch der Beschuldigte, der, wie seine Gesinnungsgenossen, sich für die Freilassung von mehreren Personen einsetzte, die am Vortag von Polizeibeamten festgenommen worden waren. Unter Benützung mehrerer Megaphone wurde von einigen Personen, unter anderem auch vom Beschuldigten, die Freilassung der verhafteten Antifaschisten gefordert und lautstark auch Parolen wie: ‚Polizei – Nazikumpanei, König raus!‘ gerufen. Unbeteiligte Passanten brachten unmißveständlich zum Ausdruck, daß sie mit der Vorgangsweise der Kundgebungsteilnehmer keineswegs einverstanden waren. (…) Bei der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts ist davon auszugehen, daß die österreichische Rechtsordnung ein Vorgehen, wie es der Beschuldigte an den Tag legte, nicht vorsieht und unter Strafe stellt.“
O wie Olympische Sommerspiele 1976: Großereignisse wie die Olympischen Sommerspiele 1976 in Montreal wurden natürlich auch von den Kommunisten in Salzburg aufmerksam verfolgt, weil man als Anhänger der Sowjetunion und der DDR immer automatisch auf Seiten der Sieger stand. So auch 1976, als die Sowjetunion 125 und die DDR 90 Medaillen holten. Mit einer Bronzemedaille in der Disziplin „Freie Pistole über 50 Meter“ belegte Österreich übrigens den letzten Platz.
P wie Peidlpracker: In meiner Studienzeit ein beliebtes Schimpfwort, mit dem wahlweise Maoisten und Trotzkisten ebenso bedacht wurden wie Mitglieder des Rings Freiheitlicher Studenten oder des ÖVP-Ablegers Österreichische Studenten Union
Qu wie Qualtinger: Nach dem Studium absolvierte ich meinen Zivildienst bei der Haftentlassenenhilfe in Salzburg und ich musste dabei oft an einen Spruch von Helmut Qualtinger denken:
„Wer nie auf einer Pritsche lag,
wer nie sein Brot mit Tränen aß,
der waaß an Schas.“
R wie Rathauswachstube: Einer jener Orte in Salzburg, um die man besser einen großen Bogen machte. Die Rathauswachstube war berüchtigt für Polizisten, die Querdenker gerne in den Schwitzkasten nahmen.
S wie Strasser, Ernst: War ein Studienkollege von mir und schon damals ein Streber, wie er im ÖVP-Parteibuch steht. Einmal wollte er mir bei einer Hörerversammlung das Mikrofon entreißen, was ihm aber nicht gelang. Irgendwann endete Strasser als Innenminister und Lobbyist.
T wie Terminkalender: Wie sehr während des Studiums die Politik mein Alltagsleben bestimmte, zeigen einige Kalendereintragungen vom Februar und März 1976:
Donnerstag, 26. Februar 1976: Dekorieren helfen für Kinderlandfasching
(„Kinderland Junge Garde“ war die der KPÖ vorgelagerte Kinderorganisation)
Freitag, 27. Februar 1976: Vortrag zur Lage in Südafrika
Mittwoch, 3. März 1976: 18 Uhr 30: Referat über Angola in Waidhofen an der Ybbs (7 Besucher)
Samstag, 20. März 1976: 10 Uhr 50: Fußball. KSV gegen MSB (5 : 2 verloren)
(MSB war der Marxistische Studentenbund = Maoisten, was die Niederlage doppelt schmerzhaft machte)
Montag, 29. März 1976: Lesung von Elfriede Jelinek (Hörsaal 312)
Freitag, 2. April 1976: Sowjetabend bei Gerhard Fink. Kurzreferat über den 25. Parteitag der KPdSU
U wie Universität: Schauplatz legendärer Hörerversammlungen, Streiks und Auseinandersetzungen mit Professoren. Als Studienort eher gemieden.
V wie Vögeln: Dialog in der KSV-WG in der Griesgasse 4 während einer Party Ende der siebziger Jahre:
„Er: Soi ma nochher no mitanonda ins Bett gehn?
Sie: Jo, tat i eh gern, oba leider hob i an Trippa.
Er: Konn ma nix mochen, trink ma hoit nu a Bier.
Sie: Jo, a guate Idee.“
W wie Weingartl: Leider nicht mehr existierendes Souterrain-Lokal in der Lederergasse 10, wo sich heute ein scheußliches Café befindet. Ort zahlreicher legendärer Besäufnisse. Stammgäste waren unter anderem die trinkenden Schriftsteller Franz Innerhofer und H. C. Artmann. Aber ich erinnere mich auch, einmal Peter Handke dort gesehen zu haben, der allerdings nur einen Himbeersaft trank.
X wie Xanthippen: Über die Premiere des von mir inszenierten Brecht-Abends „Im Mund noch den Geschmack des andern Manns“ am 17. Mai 1988 in der ARGE konnte man in der Wiener Stadtzeitung „Falter“ lesen: „Bei der Premiere in Salzburg hatten Feministinnen ein Verbot des Plakats (Design: Fuzelkönig Tex Rubinowitz) gefordert, eine Diskussion mußte vor Beginn veranstaltet werden und Regisseur Palm verließ, von einer Zitrone beworfen, fluchtartig den Raum.“
Y wie Yggdrasil: Legendäre Weltesche in der altisländischen Edda, die es in Salzburg nur zu einem verkrüppelten Ableger im Garten des Mozarteums gebracht hat. Dort steht sie heute in Erinnerung an den germanischen Dirigenten Wilhelm Furtwängler, der in Fachkreisen auch Furzwängler genannt wird.
Z wie Zorn auf Salzburg: Zwei Zitate von Mozart: „Ich hoffe nicht, daß es nötig ist zu sagen, daß mir an Salzburg sehr wenig und am Erzbischof gar nichts gelegen ist und ich auf beides scheisse.“ Und: „Die Salzburger sind mir zuwider. Ich mag nicht, wie sie sich kleiden und ich mag nicht, wie sie reden.“
SALZ Nr. 165, Salzburg, September 2016
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