Rauchzeichen
Rauchzeichen
Von Kurt Palm
Wann ich zum ersten Mal Zigarettenrauch eingeatmet habe, weiß ich nicht mehr. Allerdings bin ich mir sicher, dass es sehr früh gewesen sein muss. Sehr früh heißt: In meinen ersten Lebensmonaten. Ich vermute das deshalb, weil in meiner Umgebung viel geraucht wurde. Und daran änderte auch die Anwesenheit eines Babys nichts. Später ist mir dann aufgefallen, dass eigentlich nur die Männer geraucht haben. Rauchende Frauen gehörten in meiner Kindheit zu einer verschwindend kleinen Minderheit, die mit dem Akt des Rauchens einen Tabubruch begingen. Wie das Trinken, das Karten spielen oder das Auto fahren, war das Rauchen Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre eine fast ausschließlich männliche Domäne. Frauen wurden bestenfalls zu Passivraucherinnen degradiert.
Familiäre Zusammenkünfte an den Wochenenden waren ohne zigarettenrauchende Männer undenkbar. Dass in den Wohnungen geraucht wurde, war selbstverständlich. Kein Mensch wäre damals auf die Idee gekommen, zum Rauchen nach draußen zu gehen. Heute ist es genau umgekehrt. Als ich kürzlich bei Bekannten eingeladen war, dachte sich niemand etwas dabei, als der Gastgeber nach dem Essen zu seiner Zigarettenpackung griff und mit den Worten – „I rauch g‘schwind ane“ – auf den Balkon verschwand. Die Stigmatisierung der Raucher als asoziale Wesen wird also in vorauseilendem Gehorsam bereits in den eigenen vier Wänden praktiziert. Wobei in diesem Zusammenhang eine interessante Beobachtung zu machen ist: Während im privaten Bereich die Raucher ihrer Leidenschaft, ihrer Sucht oder ihrem Laster – je nach Betrachtungsweise – oft versteckt nachgehen, findet im öffentlichen Raum quasi eine Umkehrung statt. Auf Flughäfen oder Bahnhöfen, um nur zwei besonders krasse Beispiele zu nennen, werden Raucherinnen und Raucher für alle sichtbar in Glaskojen zur Schau gestellt, wobei diese Art der Zurschaustellung sicher ganz bewusst an Zoos erinnern soll.
Der Raucher wird auf diese Weise zu einer Art Outlaw erklärt und steht damit im Gegensatz zu jenem Abenteurer, ohne den die Zigarettenwerbung der 70er- und 80er-Jahre nicht vorstellbar wäre. Während der berühmte Marlboro-Cowboy mit jedem Zigarettenzug der grenzenlosen Freiheit ein Stück näher kam, verliert der Raucher heute mit jedem Zug ein Stück seiner Freiheit.
Aber selbstverständlich hatte die Werbung auch für diejenigen, die nicht gerne alleine auf Abenteuertrip gehen wollten, den richtigen Spruch parat. So lautete der Slogan für die Johnny-Zigaretten: „Mit Johnny hast du immer einen Freund, mit Johnny bist du nie allein.“
In meiner Erinnerung ist das Rauchen untrennbar mit einem Medium verbunden, das nicht wenig zur Popularität der Zigarette beigetragen hat: Das Fernsehen.
Da meine Großeltern in unserer Verwandtschaft die einzigen waren, die ein Fernsehgerät besaßen, entwickelte sich deren Küche vor allem an den Wochenenden zum Zentrum für familiäre Zusammenkünfte. Wenn samstags spät in der Nacht ein Western gezeigt wurde, trafen sich bereits am Abend mein Großvater, mein Vater und zwei Onkel, um sich mit einem Viererschnapser auf den Film einzustimmen. Dass dabei geraucht wurde, versteht sich von selbst. Ob das Passivrauchen den anwesenden Kindern schaden könnte, interessierte zu dieser Zeit – zumindest in Timelkam – keinen Menschen. Aber dafür, dass wir um 22 Uhr einen Western sehen durften, nahmen wir sogar das Passivrauchen in Kauf.
Ähnliches galt übrigens für den weiblichen Teil der Verwandtschaft, wenn Hans-Joachim Kulenkampffs Quizsendung „Einer wird gewinnen“ auf dem Programm stand. An solchen Abenden versammelten sich dann bis zu fünfzehn Personen in der kleinen Küche meiner Großeltern, und die Stimmung war entsprechend ausgelassen. Die Männer spielten Karten und rauchten, die Frauen sprachen über das Kochen, und die Kinder schrien, stießen Weingläser um oder zerbröselten Soletti-Stangerl auf dem Teppich. Dabei konnte es dann schon einmal vorkommen, dass meine Großmutter mit den Worten „Macht‘s nicht so einen Lärm! Was wird sich denn der Kulenkampff von uns denken!“ wieder für Ruhe sorgte.
Soweit ich mich erinnere, wurde in meiner Kindheit und Jugend eigentlich überall geraucht, ausgenommen vielleicht die Kirche, wobei es in Timelkam einen Mesner gab, der immerhin in der Sakristei rauchte. Selbst im alten Krankenhaus von Vöcklabruck gab es in jedem Stockwerk eine Raucherecke, wobei diese Ecke auf der Lungenstation besonders skurril anmutete. Heute ist das genauso unvorstellbar wie die Tatsache, dass man bis vor gar nicht so langer Zeit noch in Flugzeugen rauchen konnte. Ich erinnere mich an einen Tarom-Flug von Wien nach New York – Tarom war die staatliche rumänische Fluglinie – , während dem ich acht Stunden lang zwischen zwei kettenrauchenden Polen saß. Diesen Flug werde ich aber auch aus einem anderen Grund nicht vergessen: Bei der Ankunft in New York waren die Stewardessen und die Piloten derart betrunken, dass die Maschine zwei Stunden lang auf dem Rollfeld warten musste. Erst nachdem man einen Ersatzpiloten aufgetrieben hatte, konnte die Maschine die letzten paar hundert Meter bis zum Gate zurücklegen. Die links und rechts von mir sitzenden Polen vertrieben sich die Wartezeit natürlich damit, dass sie eine Zigarette nach der anderen pafften.
Dadurch, dass ich als Kind nur Männer sah, die rauchten, war für mich klar, dass ich als Erwachsener ebenfalls rauchen würde. Die Frage war nur: Ab wann war man alt genug, um rauchen zu dürfen? In diesem Zusammenhang befand sich die Gesellschaft in einem argen Dilemma: Auf der einen Seite wurde in Zeitungen, auf Plakatwänden, im Kino, im Fernsehen und im Radio hemmungslos für Zigaretten geworben, auf der anderen Seite versuchten Eltern ihre heranwachsenden Kinder davon zu überzeugen, dass das Rauchen eigentlich doch kein erstrebenswertes Ziel wäre. Als Hauptargument wurde dabei weniger der gesundheitliche, als vielmehr der finanzielle Aspekt ins Treffen geführt. Ich erinnere mich an Abende, an denen wir Kinder von unseren Eltern angehalten wurden, uns auszurechnen, wieviel wir uns ersparen würden, wenn wir bis zu unserem 80. Lebensjahr nicht rauchen würden. Am Ende kam immer eine derart gigantische Summe heraus, dass wir nicht verstehen konnten, weshalb mein Vater, meine Großväter, meine Onkel und auch sonst die meisten männlichen Erwachsenen in unserem Umfeld, ständig eine Zigarette im Mund hatten. Hätten sie ihr Geld nicht für Zigaretten ausgegeben, sondern auf ein Sparbuch gelegt, hätte eigentlich jeder von ihnen längst Millionär sein müssen.
Einschränken muss ich an dieser Stelle allerdings, dass mein Vater nur selbstgedrehte Zigaretten rauchte, die erheblich billiger waren als Markenzigaretten. Zum Leidwesen meines Vaters versuchten wir Kinder irgendwann ebenfalls, Zigaretten zu drehen. Heraus kamen dabei meist unförmigen Gebilde, die mein Vater dann in mühevoller Kleinarbeit wieder zerbröseln musste, um wenigstens den Tabak zu retten.
Irgendwann um meinem zwölften Geburtstag herum wurde der Drang, endlich selbst einmal eine Zigarette zu rauchen, so stark, dass ich mit einigen Freunden beschloss, den ersten Zug zu wagen. Durch diesen Initiationsritus wollten wir in die Welt der Erwachsenen aufgenommen werden, was diese aber natürlich nicht wissen durften. Da es in Timelkam nur eine Tabak-Trafik gab und das Ehepaar Angelmaier alle Kinder im Ort kannte, blieb uns gar nichts anderes übrig, als uns unsere Tschick selbst zu basteln. Also schnappten wir uns unsere Fahrräder und fuhren in die Au, wo wir uns am Ufer eines kleinen Baches niederließen, um aus Lianen Zigaretten ;herzustellen. Welches Papier wir verwendeten, weiß ich nicht mehr, aber ich weiß noch, dass der von uns allen seit Langem herbeigesehnte Tag der ersten Zigarette gehörig in die Hosen ging. Und das im wahrsten Sinn des Wortes. So, wie wir es in diversen Abenteuerfilmen gesehen hatten, zerkleinerten wir mit unseren Taschenmessern trockene Lianenfasern und versuchten diese in die mitgebrachten Papiere einzudrehen. Irgendwann hatten wir ein paar Objekte zwischen unseren Fingern, die zumindest entfernt an Zigaretten erinnerten. Das Zeug, das wir rauchten, schmeckte allerdings nicht nur grauenhaft, sondern stank auch fürchterlich. Aber da wir als Abenteurer nicht schlapp machen durften, rauchten wir die Lianenzigaretten tapfer zu Ende. Zu Hause angekommen, führte uns der erste Weg dann schnurstracks auf die Toilette, wo wir zum ersten Mal am eigenen Leib spürten, was das Wort Verdauungszigarette auch bedeuten kann. Aber da auch in diesem Fall galt, dass Rückschläge dazu da sind, um überwunden zu werden, war klar, dass wir irgendwann unsere erste richtige Zigarette rauchen würden. Gemäß dem Grundsatz: Man muss die erste überstehen, wenn man ein richtiger Raucher werden will.
Nach dem Erreichen des achtzehnten Lebensjahrs verlor das Rauchen für mich interessanterweise ein wenig an Reiz. Bedeutete das Rauchen bis dahin die Übertretung einer Norm, ging es jetzt eher darum, zu zeigen, dass das Rauchen ein sinnliches Vergnügen war. Zu diesem Zweck musste man nicht nur die richtige Marke rauchen, sondern durch die entsprechende Rauchtechnik auch zeigen, dass man kein blutiger Anfänger war.
Die intensivste Rauchphase meines Lebens war ident mit meiner Studentenzeit in Salzburg. Soweit ich mich erinnere, wurde damals praktisch immer und überall geraucht, wobei in der Zwischenzeit insofern eine kleine Revolution stattgefunden hatte, als es jetzt selbstverständlich war, dass auch die Frauen rauchten.
Da ich in meiner Studentenzeit sehr viel gereist bin, war es nicht unwichtig, welche Zigaretten man in den jeweiligen Ländern rauchte. In Frankreich rauchte man zum Beispiel nur gelbe Gitanes oder Gaulloises, in Italien MS, in der DDR Karo, in der Sowjetunion Papirossi, in der BRD Camel und in Jugoslawien F 57. Die F 57 waren übrigens der Grund, weshalb ich Anfang der achtziger Jahre mit dem Rauchen wieder aufgehört habe. Und das kam so: Am Ende eines dreiwöchigen Istrien-Urlaubs beschlossen meine damalige Freundin und ich, die Gunst der Stunde zu nutzen, und zehn Stangen F 57 nach Österreich zu schmuggeln. Verglichen mit österreichischen Zigaretten, ersparten wir uns auf diese Weise die Einrichtung eines kleinen Vorzimmers. Da wir neben den zehn Stangen F 57 auch noch dreißig Liter Rotwein im Auto versteckt hatten, war klar, dass eine Zollkontrolle unseren finanziellen Ruin bedeutet hätte. Zu unserem großen Glück winkten uns die Zöllner aber durch, was wiederum zur Folge hatte, dass in den folgenden Wochen unsere Haupttätigkeit im Zigarettenrauchen und Rotweintrinken bestand. Da die F 57 filterlose Zigaretten waren und rasch austrockneten – es handelte sich dabei also um richtige Beuschelreißer –, und de›r Wein in Fünf-Liter-Gallonen abgefüllt war, mussten wir praktisch permanent rauchen und trinken. Irgendwann ist mir von den F 57 und dem qualitativ nicht gerade hochwertigen Rotwein aber so schlecht geworden, dass ich eine richtiggehende Aversion gegen das Rauchen entwickelte. Die Aversion gegen das Rauchen (von Zigaretten, nicht von Joints) ist geblieben, die Aversion gegen das Weintrinken zum Glück nicht.
Trotz der Tatsache also, dass ich seit mittlerweile dreißig Jahren Nichtraucher bin, lehne ich die globalen Anti-Raucher-Kampagnen und die weltweit grassierenden Rauchverbote ab. Auch die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen, denen eine gewisse Penetranz nicht abzusprechen ist, finde ich eher komisch als hilfreich.…
* Rauchen kann zu einem langsamen und schmerzhaften Tod führen.
* Rauchen kann zu Durchblutungsstörungen führen und verursacht Impotenz.
* Rauchen kann die Spermatozonen schädigen und schränkt die Fruchtbarkeit ein.
* Rauch enthält Benzol, Nitrosamine, Formaldehyd und Blausäure.
Nicht genug damit, hat die Weltgesundheitsorganisation WHO im Jahr 1987 den Weltnichtrauchertag ins Leben gerufen, der jährlich am 31. Mai „gefeiert“ wird. Um diesem Tag etwas mehr Pepp zu geben, steht er jedes Jahr unter einem anderen Motto.
* Sportler und Künstler rauchen nicht!
* Rauchfreie Luft für freie Bürger!
* Film und Fernsehen: Mit Schall ohne Rauch!
* Rauchfreie Jugend.
* Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.
Dem Braintrust, der sich solche Slogans ausdenkt, würde ich übrigens gerne einmal bei der Arbeit zusehen.
Auch wenn die weltweiten Anti-Raucher-Kampagnen aus medizinischer Sicht sinnvoll sein mögen, verwundert es doch ein wenig, dass auf keiner Bier-, Wein- oder Schnapsflasche ähnliche Warnungen zu lesen sind. Außerdem stellt sich die Frage, ob nicht auf dem Großteil der Lebensmittelverpackungen stehen müsste, dass der Verzehr von deren Inhalten gesundheitsschädigend ist. Vom MacDonald‘s-Drecksfraß einmal ganz abgesehen.q Und wie verhält es sich eigentlich mit den Autos? Pro Jahr kommen weltweit ca. 1,2 Millionen Menschen bei Verkehrsunfällen ums Leben, aber ich habe noch kein Auto gesehen, auf dem vor der tödlichen Gefahr des Autofahrens gewarnt werden würde.
Denkt man die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen konsequent weiter, müsste eigentlich auch auf jedem Kleidungsetikett von H & M oder C & A der Hinweis stehen, dass der Kauf dieses Kleidungsstücks für Kinder in Bangladesch, China oder Indien tödlich sein könnte.
Mag ja sein, dass hinter den global geführten Anti-Raucher-Kampagnen tatsächlich die Sorge um die Gesundheit der Menschen steht, allerdings glaube ich, dass es dabei auch noch um etwas anderes geht, nämlich um soziale Kontrolle. Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, dass die generalstabsmäßig durchexerzierten Anti-Raucher-Kampagnen für die Herrschenden eine Art ETestlauf sind, um herauszufinden, wie weit sie die Massen steuern können, ohne dass diese Widerstand leisten. Was als Nächstes kommen wird, wissen wir nicht, aber wenn wir uns einmal vor Augen halten, dass unser Leben fast nur noch von Ver- und Geboten bestimmt wird, ist dieser Verdacht sicher nicht von der Hand zu weisen.
Aber wahrscheinlich muss man solche Entwicklungen in unserer Zeit des Gesundheits-, Körper- und Schönheitskults in Kauf nehmen, in der Light-Getränke und Diätmargarinen ein höheres Ansehen genießen als Zigaretten.
Auch wenn am 31. Mai der Weltnichtrauchertag gefeiert wird, gehört das Schlusswort einer Raucherin, und zwar der uruguayanischen Schriftstellern Cristina Peri Rossi: „Kann sein, dass die Zigarette auf lange Sicht tötet. Aber auf kurze Sicht ist sie ein Reiz, der seinesgleichen sucht. Auch das Leben tötet – immer –, und doch lieben wir es – hin und wieder.“
Der Standard, Album, 25. Mai 2013
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