Mozart, der Islam und der Henker von Salzburg
„Erst geköpft, dann gehangen“
Mozart, der Islam und der Henker von Salzburg
Von Kurt Palm
Am 11. November 1780 notierte Nannerl Mozart in ihr Tagebuch: „Zwei arme Sünder entköpfet worden.“ Bei den Delinquenten, die vom Salzburger Scharfrichter Franz Joseph Wohlmuth unter großer Anteilnahme der Bevölkerung enthauptet wurden, handelte es sich um den 29-jährigen Bäckerjungen Kaspar Bleicher und den 31-jährigen Lederergesellen Florian Albrechts. Der Kopf Bleichers wurde zur Abschreckung auf einen Pfahl gesteckt und der Körper Albrechts auf ein Rad geflochten. Kopf und Körper blieben so lange ausgestellt, bis die Vögel das Fleisch von den Knochen gefressen hatten.
Im „Executions-Einschreibbuch“ Wohlmuths tragen die Hingerichteten die Nummern 164 und 165. Während seiner Amtszeit als Salzburger Scharfrichter beförderte Wohlmuth zwischen 1757 und 1817 insgesamt 226 Verurteilte vom Leben zum Tod. Als Wohlmuth seine Meisterprüfung ablegte und einen Verurteilten mit einem einzigen Schwerthieb erfolgreich köpfte, war er gerade einmal neunzehn Jahre alt.
Franz Joseph Wohlmuth war in Salzburg aber nicht nur für die Hinrichtungen mit dem Schwert und dem Galgen verantwortlich, sondern auch für die Folterungen und körperlichen Züchtigungen. Aus Wohlmuths penibel geführten Aufzeichnungen geht hervor, dass er die Folter in Salzburg noch bis 1801 anwandte, während diese in Österreich bereits 1776 abgeschafft worden war.
Dass die Delinquenten zum größten Teil aus den unteren sozialen Schichten stammten, versteht sich angesichts der politischen Verhältnisse und des Rechtsverständnisses im katholischen Fürsterzbistum Salzburg von selbst.
Die Vollstreckung der vielen Todesurteile war freilich nicht die einzige Besonderheit, durch die sich die Rechtsprechung im Erzstift auszeichnete. Ein weiteres Spezifikum waren hier die Unzuchtsstrafen, die besonders hart ausfielen, wenn es sich um Mütter außerehelicher Kinder oder um Mädchen und Frauen handelte, die „sittlicher“ Verfehlungen beschuldigt wurden. In diesem Zusammenhang notierte Nannerl Mozart im August 1775, dass im Rathaus „7 Jungfern ausgepeitscht und 6 in das Zuchthaus geführt wurden“.
Ihr Vater, Leopold, schrieb im Mai 1785, dass in Salzburg 17 bettelnde Frauen ins Zuchthaus geworfen und „einige“ Bettlerinnen öffentlich geprügelt oder an den Pranger gestellt wurden. Andere wurden des Landes verwiesen und mit dem Buchstaben S gebrandmarkt, damit man außerhalb Salzburgs wusste, woher die Verurteilten kamen. Der Hass auf Bettler hat in Salzburg also eine längere Tradition als manche glauben mögen.
Ein halbes Jahr später berichtete Leopold Mozart, dass ein verurteilter Soldat auf dem heutigen Makartplatz „von 200 Mann 10 mal“ mit Spießruten geschlagen wurde. In der „Zauberflöte“ droht der edle Sarastro dem bösen Mohren Monostatos nur „77 Sohlenstreich“ an.
Wie sehr Hinrichtungen damals Teil des Alltagslebens waren, geht auch aus einem Brief hervor, den Leopold Mozart im Oktober 1777 an seinen Sohn nach München schrieb: „Heute in der Früh hat man einen aufgehenkt. Abends ist Komödie, morgen maskierter Ball, den der Fürst Breiner gibt.“ Sechs Wochen später berichtete Leopold über die Hinrichtung eines 19-jährigen Diebes, dessen Körper ebenfalls auf das Rad geflochten wurde.
Einem französischen Soldaten, der zum Tod durch den Strang verurteilt worden war, wurde von Wohlmuth eine Hand abgehackt und wieder verbunden, damit der Verurteilte nicht vor der Hinrichtung verblutete.
Wir halten also fest, dass zur Mozartzeit in Salzburg an Frauen und Männern die Prügelstrafe vollzogen wurde, Häftlinge brutalen Folterungen ausgesetzt waren und zum Tode Verurteilte nicht nur öffentlich hingerichtet, sondern zur Abschreckung auch gepfählt oder auf das Rad geflochten wurden.
Die Hinrichtungs- und Folterpraktiken im katholischen Salzburg vor zweihundert Jahren unterschieden sich also nicht von denen des Islamischen Staats im Irak oder in Syrien heute.
Nehmen wir an dieser Stelle einen Ortswechsel in die Türkei vor, wo Mozarts Singspiel „Die Entführung aus dem Serail“ spielt. Wir befinden uns auf einem Platz vor dem Palast des Bassa Selim. Der aus Spanien stammende christliche Edelmann Belmonte ist auf der Suche nach seiner entführten Verlobten Constanze und trifft dabei auf den Türken Osmin, der bei Bassa Selim als Aufseher arbeitet. In seinem Auftrittslied „Wer ein Liebchen hat gefunden“ macht Osmin kein Hehl daraus, dass sein Frauenbild exakt dem Klischee des Muselmanen entspricht, der sich seine Frauen dadurch gefügig macht, dass er sie einsperrt: „Doch sie treu sich zu erhalten, schließ er Liebchen sorglich ein.“
Nach diesem Bekenntnis wendet sich Osmin dem unbekannten Belmonte zu, den er zur Begrüßung gleich einmal als „Galgenschwengel“ bezeichnet. Als Belmonte den Namen seines Dieners Pedrillo erwähnt, wünscht Osmin dem einen wie dem anderen den Tod. Die Art und Weise, wie Osmin die beiden ins Jenseits befördern möchte, kommt uns allerdings bekannt vor. Während er nämlich Pedrillo „spießen“ möchte, droht er Belmonte die „Bastonade“ an, also jene Prügelstrafe, die in Salzburg zur Mozartzeit gang und gäbe war.
Im weiteren Verlauf der Handlung entwickelt sich Osmin immer mehr zum Prototyp des orientalischen Barbaren, der von Blondchen, der Bedienten Constanzes, folgerichtig als „Tier“ bezeichnet wird. Osmins Replik „Verbrennen sollte man die Hunde“ verpufft angesichts der Entscheidung Bassa Selims, die Europäer ziehen zu lassen, freilich im Leeren.
Aufschlussreich in diesem Kontext sind die Anmerkungen, die in Georg Nikolaus Nissens Mozart-Biographie aus dem Jahr 1828 zu finden sind: „Osmin ist ganz, was er sein soll, ein grober, niederträchtiger Türke. Sklavensinn und die ihm so nahe verwandte sinnlose Grausamkeit und läppische Brutalität charakterisieren diese orientalische Nichtswürdigkeit in scharfen Umrissen.“
Diese Charakterisierung Osmins entspricht durchaus dem Zeitgeist, wenngleich es in der „Entführung“ am Ende insofern eine unerwartete Wendung gibt, als sich ausgerechnet der Moslem Bassa Selim als großmütig erweist und den beiden christlichen Paaren ihre Freiheit schenkt. Diese wundersame Fügung des Schicksals ändert allerdings nichts an der zentralen Botschaft dieses Singspiels, die da lautet, dass der christliche Okzident dem islamischen Orient moralisch überlegen ist. Nicht zufällig weist Pedrillo gegen Ende der Oper ausdrücklich darauf hin, dass er „einem guten altchristlichen Geschlecht aus Spanien“ entstamme.
Im Zusammenhang mit dem Konflikt Abendland/Morgenland bzw. Christentum/Islam sind zwei weitere Szenen in der „Entführung“ aufschlussreich.
Gleich zu Beginn des 2. Aufzugs kommt es zwischen Blondchen und Osmin zu einem heftigen Streit, bei dem es um die Rolle der Frau im Islam geht und in dessen Verlauf Osmin erklärt: „Hier sind wir in der Türkei, und da geht’s aus einem andern Tone. Ich dein Herr, du meine Sklavin; ich befehle, du musst gehorchen!“
Darauf Blondchen: „Türkei hin, Türkei her! Weib ist Weib, sie sei, wo sie wolle! Sind eure Weiber solche Närrinnen, sich von euch unterjochen zu lassen, desto schlimmer für sie.“
„Beim Allah“, antwortet Osmin, „die wär‘ glatt imstande, uns allen die Weiber rebellisch zu machen!“
Wie es unter diesen Umständen übrigens Don Giovanni geschafft haben will, in der Türkei mit 91 Frauen Sex zu haben, bleibt ein Rätsel. Aber wahrscheinlich ist das Bumsregister, das Leporello für seinen Herrn angelegt hat, ohnehin eine Fälschung.
Der Librettist der „Entführung“., Gottlieb Stephanie, war nur einer von vielen Autoren des 18. Jahrhunderts, die sich mit der orientalischen Frage beschäftigten, und auch Mozart setzte sich bereits viele Jahre vor der „Entführung“ mit dem damals sehr populären „Serail“-Thema auseinander, so zum Beispiel in seinem Singspiel „Zaide“.
In einem Brief an seinen Vater bezeichnete Mozart die Textvorlage Gottlieb Stephanies als „türkisches Sujet“, womit alles gesagt war, denn als fleißiger Theatergeher war Leopold Mozart mit dieser Materie ebenso vertraut wie sein Sohn. In ihrer weltanschaulichen Orientierung unterschieden sich die „türkischen“ Stücke der Mozartzeit nur im Detail voneinander. Im Mittelpunkt stand immer der große Konflikt zwischen Orient und Okzident, bei dem stets der Okzident als Sieger hervorging.
Als weiteres Beispiel für dieses Prinzip sei aus der „Entführung“ jene Szene angeführt, in deren Verlauf Pedrillo seinen Widersacher Osmin von den Vorzügen des Alkohols zu überzeugen versucht. Obwohl Pedrillos vordergründiges Ziel darin besteht, Osmin betrunken zu machen, geht es hier auch um eine grundsätzliche Kritik an den religiösen Vorschriften des Islam.
Pedrillo: „Fröhlichkeit und Wein versüßt die härteste Sklaverei. Wahrhaftig, da hat euer Vater Mahomet einen verzweifelten Bock geschossen, dass er euch den Wein verboten hat.“
Nachdem Osmin zögert und darauf hinweist, dass ihm seine Religion den Genuss von Alkohol verbiete, bedrängt ihn Pedrillo und singt mit ihm das Duett „Vivat Bacchus, Bacchus lebe“. Erst die Musik führt bei Osmin zu einem langsamen Umdenken und nachdem er endlich zur Flasche gegriffen hat, ist er am Ende so betrunken, dass er nur noch müde vor sich hin lallt: „Das ist wahr, Wein, Wein ist ein schönes Getränk; und unser großer Prophet mag mir’s nicht übelnehmen. Gift und Dolch, es ist doch eine hübsche Sache um den Wein!“
Auch in dieser Szene wird deutlich, dass es bei der „Entführung“ letztendlich um die Reproduktion kolonialer Blickverhältnisse geht. Dabei stehen die „Türken“ samt ihrer Sitten und Gebräuche stellvertretend für die zurückgebliebenen und unaufgeklärten Moslems.
Die berühmte Arie des Osmin „Solche hergelaufne Laffen“ wird landläufig als die Rachephantasie eines barbarischen Moslems interpretiert. Zu fragen wäre allerdings, ob in dieser Arie nicht vielmehr die weit über die Mozartzeit hinaus gängige Rechtspraxis im katholischen Fürsterzbistum Salzburg beschrieben wird?
„Erst geköpft, dann gehangen,
dann gespießt auf heiße Stangen,
dann verbrannt, dann gebunden,
und getaucht, zuletzt geschunden!“
Der Standard, ALBUM, 23./24. Jänner 2016
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