Jetzt raucht’s
Wir stehen am Straßenrand im Schatten einer Palme und warten auf eine Mitfahrgelegenheit. Der Asphalt dampft, es hat über dreißig Grad und die Luftfeuchtigkeit beträgt gefühlte neunzig Prozent. Die schwarzen Wolken, die für den kurzen, aber heftigen, Regen verantwortlich waren, sind Richtung Krakatau abgezogen. Ein schmächtiger Becak-Fahrer hält an und möchte uns mit seinem bunt geschmückten Fahrradtaxi unbedingt zum Markt nach Carita chauffieren. Wir lehnen dankend ab, weil wir uns nicht vorstellen können, dass der Mann die sieben Kilometer lange Strecke mit uns als Fracht überhaupt schafft.
Wenig später stoppt ein Sammeltaxi. Es trägt den flotten Namen „Wolf on Street“ und wäre bei uns längst auf dem Autofriedhof gelandet. Dort, wo einmal eine Schiebetür war, ist jetzt ein Loch, und in der Fahrerkabine ragt anstelle eines Ganghebels eine Eisenstange aus dem rostigen Boden. Trotzdem zwängen wir uns in den bereits voll besetzten Laderaum des winzigen Isuzu, wo wir zwischen einem Hühnerkäfig und einer Bananenstaude Platz finden. Für zwei Personen zahle ich 10.000 Indonesische Rupiah (ca. 70 Cent). Der Fahrer steckt den Schein in ein vollgestopftes Plastiksackerl, das an einem losen Draht aus dem Armaturenbrett heraushängt. Angst, dass ihm jemand sein Geld stehlen könnte, scheint er nicht zu haben. Der Fahrer, er heißt Manik, lacht über das ganze Gesicht und freut sich, dass in seine Klapperkiste endlich einmal auch Touristen eingestiegen sind.
Die Straße ist eng und unübersichtlich, aber Manik kennt sich hier aus und weicht den Schlaglöchern ebenso geschickt aus wie den entgegenkommenden Becak- und Motorradfahrern. Einmal werden wir von einem Moped überholt, auf dem eine vierköpfige Familie eine lebende Ziege transportiert.
Uns gegenüber sitzen drei Buben in Schuluniform, von denen jeder eine Taube in der Hand hält. Die Schüler starren uns an und nachdem sie ein paar Worte in ihrem sundanesischen Dialekt gewechselt haben, rafft sich der Ältere von ihnen auf, und sagt: „Hello Mister.“ Obwohl meine Frau einen Schal als Kopfbedeckung trägt, wird sie von ihm demonstrativ ignoriert. Die Erwachsenen nicken anerkennend und lachen. Da es in der Gegend um Sambolo kaum Touristen gibt, sind dieses Mal wir die Exoten, die entsprechend bestaunt werden. Ich deute auf die Tauben und führe eine Hand zum Mund, aber die Schüler geben mir durch energisches Kopfschütteln zu verstehen, dass die Tauben nicht gegessen werden. Was sie mit den Tauben vorhaben, finde ich nicht heraus.
Als wir aussteigen, strömt uns sofort der süßlich-faulige Geruch der Durian-Frucht entgegen, der – vornehm ausgedrückt – an einen reifen französischen Käse erinnert. Oder an ungewaschene Socken. Kein Wunder, dass der Verzehr der Durian-Frucht in vielen Hotels und öffentlichen Gebäuden verboten ist. Für unsere Nasen ist es ein extrem unangenehmer Geruch, aber für die Menschen hier ist die Durian-Frucht die Königin aller Früchte. Angeblich schmeckt sie wie der Himmel, auch wenn sie wie die Hölle stinkt. Aber wir sind standhaft und kaufen stattdessen ein Kilo Litschi, für das wir umgerechnet einen Euro bezahlen.
Auf dem Pasar Carita gibt es alles, was man zum täglichen Leben braucht: Obst, Gemüse, Fisch, Hühner, Kleidung, Werkzeug, Kohle und natürlich Bensin. In den warungs, einer Mischung aus Imbissstand und Gemischtwarenladen, wird das Bensin in Limonadenflaschen oder auf Wunsch auch in Plastiksackerln abgefüllt. Die Fischer, deren Boote in der Lagune von Carita liegen, machen von diesem Angebot ebenso reichlich Gebrauch wie die zahllosen Moped- und Motorradfahrer.
Um Punkt zwölf ruft der Muezzin der nahegelegenen Moschee zum Mittagsgebet, er tut das auf Arabisch. Nur, wenn vor einem Tsunami gewarnt wird, erfolgen die Verlautbarungen der Muezzine im sundanesischen Dialekt, der in der Provinz Banten in West-Java gesprochen wird. Da es auf Java in jedem Ort, in dem mehr als vierzig erwachsene Männer leben, eine Moschee gibt, funktioniert das Tsunamiwarnsystem jetzt besser als im Dezember 2004.
Auf Java wird – im Gegensatz zu Sumatra – eine gemäßigte Form des Islam praktiziert. Nur wenige Frauen sind hier in einen Tschador oder einen Niqab gehüllt und viele tragen nicht einmal ein Kopftuch. Und auch wenn in der Provinz Banten ein striktes Alkoholverbot herrscht, bekommt man unter der Hand sehr wohl Bier und Wein. Dafür muss man allerdings tief in die Tasche greifen. Eine Flasche Bintang-Bier kostet drei Euro und für eine Flasche Wein muss man zwischen dreißig und fünfzig Euro bezahlen. Der gepanschte Alkohol ist zwar billiger, dafür aber auch lebensgefährlicher. Skurril mutet es da an, dass in einigen Supermärkten alkoholfreier Bintang-Radler verkauft wird.
Wir spazieren die Verkaufsstände entlang, zwischen denen Rauchwolken aufsteigen, die von verbrannten Abfällen stammen. Der restliche Müll wird im Straßengraben, im Dschungel oder im nächstgelegenen Fluss entsorgt. Aber so verdreckt kann ein Rinnsal gar nicht sein, dass nicht ein paar Buben mit ihren selbst gebastelten Angeln ihr Glück versuchen würden. Falls es in diesen Gewässern tatsächlich Fische geben sollte, müssen es besonders widerstandsfähige Exemplare sein.
Eine Händlerin bietet zum Glück frische Meeresfische an. Sie werden über dem offenen Feuer gebraten und schmecken hervorragend. Neben dem obligaten nasi goreng, dem gebratenen Reis, werden dazu Gemüse und eine Kokosnuss serviert. Das Ganze kostet fünf Euro – für zwei Personen. Unter dem Tisch wartet bereits eine abgemagerte Katze auf die Essensreste, allerdings sind die Hühner schneller und die Katze hat das Nachsehen.
Nach dem mittäglichen Dsuhr-Gebet treffen wir Juhadi, der uns seit unserer Ankunft in Sambolo nicht nur mit Bintang-Bier, sondern auch mit guten Tipps versorgt. Juhadi hat ein Boot für die Überfahrt zur Vulkaninsel Anak Krakatau organisiert. Am Strand treffen wir Hamsün und Jalal, die bereit wären, uns am nächsten Tag mit dem Motorboot für drei Millionen Indonesische Rupiah zu der Insel zu bringen. Das sind zwar 210 Euro, aber da die Wettervorhersage gut ist und wir unbedingt den Anak Krakatau besuchen wollen, stimmen wir zu.
Am nächsten Morgen herrscht ein ziemlich hoher Wellengang, aber wir tun so, als würde uns das nichts ausmachen. Dass die beiden 40-PS-Motoren während der Überfahrt mehrmals abgeschaltet werden müssen, weil sich Plastikmüll in den Schiffsschrauben verfangen hat, ist nur für uns beunruhigend. Für Hamsün und Jalal ist das reine Routine. Zwei Stunden lang werden wir ordentlich durchgeschüttelt, aber sobald wir unser Ziel erreicht haben, sind alle Unannehmlichkeiten vergessen.
Auf der Insel Anak Krakatau sind wir an diesem Vormittag die einzigen Besucher, was vielleicht auch daran liegen mag, dass der Vulkan immer noch aktiv ist. Tatsächlich sehen wir aus seinem Krater Schwefeldämpfe aufsteigen. Die Insel Anak Krakatau besteht aus schwarzem Lavagestein, nur ab und zu findet man gelbe Schwefelbrocken. Trotz der kargen Vegetation gibt es hier neben Schlangen und Echsen auch Warane, von denen uns zwei stattliche Exemplare über den Weg laufen.
Als der Krakatau am 27. August 1883 ausbrach, bedeutete das gleichzeitig die Zerstörung des alten Vulkans. Die gigantische Eruption hatte eine vierzig Meter hohe Tsunamiwelle zur Folge, die 165 Dörfer und Städte zerstörte und mehr als 36.000 Menschen in den Tod riss. 1927 erfolgte dann die „Wiedergeburt“ des Krakatau: Nach einer Serie heftiger Eruptionen tauchte Anak Krakatau, „das Kind des Krakatau“, aus dem Meer auf.
Der Anblick des Kraters von Anak Krakatau mit den austretenden Schwefeldämpfen ist imposant, aber auch ziemlich furchteinflößend. Eine Stunde später sitzen wir wieder im Boot und sind froh, als uns Hamsün und Jalal sicher am Strand von Sambolo absetzen. Wir laden die beiden und Juhadi auf einen Bintang-Radler ein, und stoßen auf den Anak Krakatau an, dessen Silhouette weit draußen am Horizont schemenhaft zu erkennen ist.
Der Standard (RONDO), 27. Jänner 2017